Markus Gull
Mann schaut in ein riesengroßes Fernglas in der Wüste. Fast nur das Fernglas ist auf dem Bild zu sehen.

Warum es Schattentauchern in Sachen POMO besser geht?

In einer vergangenen Zeit, in der das Wiener Kaffeehaus noch annähernd seinem Ruf als Brut-, Ausbildungs- und Wirkungsstätte der Zwischenweltenbewohner gerecht wurde, werden wir gleich in der ersten der 61 Beschreibungen aus dem Leben des Ferdinand Alt, die André Heller in seinem Prosaband Schattentaucher versammelt, freiwillige Zeugen nachfolgender Begegnung im Café Stern:

ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU!

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!

„Ich kenn‘ Sie, sagte der Mann, „Sie sind der Herr Alt, Ferdinand oder so. Ihr Vater war ein Meschiggener, aber sehr tüchtig. Hab‘ mit ihm Geschäfte gemacht, keine großen, keine schlechten. Ihre Mutter war die berühmteste Tänzerin bei den Hakoah-Festen, sie und der Teddy Herzog. Was ich erzähl‘, spielt vor dem Krieg, nachher hat’s ka Tanzen mehr gegeben, hat sich ausgetanzt. Wann sind Sie geboren?“

„1944 in Bolivien, antwortete Ferdinand, den dieser Überfall an seinem Stammtisch im Café Stern nicht im Geringsten störte.

„Bolivien. In der Zeit hat man als Jude froh sein müssen, wenn man überhaupt geboren wurde. Ein heißes Land, Bolivien. Mit lauter Schwindlern. Und jetzt sind die Nazis auch noch dort.

Kennen Sie Südamerika?, fragte Ferdinand.

„Nicht direkt. Aber Hitze verdirbt den Charakter, überall, auch in Israel. Man wird müd‘, faul, blöd, und wenn man bemerkt, dass man viel Zeit verloren hat, versucht man, durch Gaunereien aufzuholen. Hände weg von der Hitze! Österreich, das is‘ a Land, immer hat man an kühlen Kopf. Wenn ich so jung wär‘ wie Sie, wär‘ ich längst Millionär. Das Geld liegt doch auf der Straße. Was is‘ Ihr Beruf?

„Klavierstimmer, eigentlich Komponist.

Eigentlich wiederholte der Mann. „A Meschiggener wie sein Vater. Warum machen Sie nicht Import-Export? So wie Sie ausschauen, wird man Ihnen vertrauen. A ehrliches Gesicht ist das beste Grundkapital. Komponieren können Sie nebenbei. Der Verdi war, glaub‘ ich, auch hauptberuflich Weinhändler.

Das stimmt nicht“, sagte Ferdinand, „ist aber ein hübscher Gedanke.”

Na also”, sagte der Mann. „Wenn Sie bis heute nicht berühmt sind, und, unter uns, ich hab‘ noch nie von Ihnen als Komponist gehört, und ich les‘ alle Zeitungen, dann gründen Sie eine Firma. Mit meinen Verbindungen haben Sie bald ein Imperium. Und die Musik, das arrangiert sich dann. Jeder von uns hat eine verschleppte Kränk.”

„Eine was?“, fragte Ferdinand.

Eine verschleppte Kränk. Eine Sehnsucht, die einen traurig macht. Etwas, das hätte sein sollen, aber nicht hat sollen sein.”

Sie sind ja wahnsinnig”, kam es aus Ferdinand. „Man weiß doch, wozu man berufen ist.”

Man weiß ganz genau einen Tineff”, seufzte der Mann, dessen gelbe Wildlederhandschuhe wie kleine Kometen vor dem dunklen Gilet seines Anzugs hin- und herzogen.

Die große Sehnsucht, die traurig macht.

Die Geschichte, die wir uns darüber erzählen, beginnt allzu oft nicht mit „Es war einmal …”, sondern mit „Eigentlich …” Sie endet nicht mit „… und lebten glücklich bis an ihr Ende, sondern mit „Es hat nicht sollen sein.”

„Man weiß doch, wozu man berufen ist”, sagt Ferdinand Alt im Café Stern, und da sind wir ganz einer Meinung, der Ferdinand und ich. Ganz tief drin, da wissen wir es nämlich (oder eigentlich?) alle. Da ruft was, da klingelt was, da klopft was an. Dieses berühmte Calling, mit dem jede Geschichte beginnt, auch unsere, so wie sie unter anderem in der viel zitierten Heldenreise beschrieben wird: Der Ruf!

Hörst du’s auch?

Rette die Prinzessin vor dem bösen Drachen, rette die ganze Welt vor dem Meteoriten-Einschlag, oder wenigstens die Menschheit vor dem Untergang in der Klimahölle. Starte dein Startup, unternimm was als Unternehmer:in, oder organisiere eine NGO. Schreib deinen Roman, sei aus ganzem Herzen Mutter, Vater, Lehrer:in, Tischler:in oder Musikant:in und so weiter und so fort. Derlei Rufe gibt es unzählige, in unterschiedlichen Tonlagen, aber einen ganz bestimmten gibt’s vor und hinter allem, eine, der auf dich und nur auf dich eingestimmt ist. In variablen Lautstärken erklingt dieser Ruf, auch wenn man ihn (vorsichtshalber) überhört – bis schließlich das „Eigentlich hätte ich …” das einst glockenreine „Es wird einmal …” dämpft.

Allerdings verstummt der Ruf nie, wir hören nur schlechter mit der Zeit. Wir überhören ihn, so wie wir das Ticken der Wanduhr nach einiger Zeit nicht mehr wahrnehmen. Doch die Uhr tickt weiter, die Zeit läuft ab, verrinnt und mit ihr die Lebenszeit. Vor dir die Zeit, die dir noch bleibt, hinter dir dein ungelebtes Leben. In dir, das Faulgas des Giftes, das so entsteht.

In der Heldenreise – also im mythologischen Lauf unseres Lebens und seiner Kapitel – folgt auf den Ruf, fast wie das Amen in der Kirche, die Verweigerung des Rufes. Jeder von uns hat dafür eine wohlbestückte Vorratskammer an Schutzgeschichten vorbereitet. Schutzgeschichten in der tückischen Verkleidung von Glaubenssätzen, die wir uns selbst zurechtgelegt haben, oder die uns als Erziehung, Bildung & Sozialisation in zartem Punschkrapferlrosarot camoufliert untergejubelt wurden, so dass wir längst schon meinen, es wären unsere eigenen Gedanken.

„Ich kann das nicht …”

„Das braucht niemand.”

„Die anderen sind doch viel besser als ich.”

„Mir fehlen Zeit, Budget, Wissen & Kraft.”

„Ich muss vorher aber noch …”

„Was soll denn ich allein schon …”

„Das System ist eben so.”

„Das ist jetzt nicht der perfekte Zeitpunkt.”

Solche Sachen glauben wir.

Solche Geschichten brauen wir zusammen und tischen sie uns selbst und einander brühwarm auf. Solcherart verweigern wir schlichtweg den Ruf für das, wofür wir da sind – als einzelne Menschen, als Unternehmen als Gemeinschaft. Als Menschheit im Gefüge dessen, was wir den Planeten nennen, auf dem wir zu leben vermeinen, doch dessen Mikromosaikteilchen auch wir in Tat und Wahrheit sind.
Füreinander wären wir da, oder? Für das große Ganze, nicht wahr? Wären wir eigentlich. Eigentlich …

Ferdinand Alt, so wird es beschrieben, ist hier keine Ausnahme. Die Klangfarbe eines Instruments, die ihre Vollkommenheit aus der fachlich einwandfreien Intonation erhält, empfand Ferdinand als den heiligen Vorbezirk des Komponierens. Freilich wußte er nicht, ob es tatsächlich einen Gott gab, der unter anderem den unergründlichen Wunsch hegte, Besitzer eines komponierenden Ferdinand zu sein. Er war lediglich davon überzeugt, daß es sein unabwendbarer Auftrag war, ein Lebenswerk aus mindestens einer Symphonie zu erarbeiten, die vor seinen an der gesamten alten und neuen Musikgeschichte geschulten Kriterien bestehen konnte. Immer und immer wieder hatte er sich gefragt: Was ist es, wofür ich träume, erwache, fiebere, genese, lerne, verweigere, verführe, stürze, irre und Halt suche? – Um des Werkes willen, war die Antwort. Leuchtend und jeden Einwand überstrahlend – um des Werkes willen. Und Ferdinand wusste letztlich, dass seine Menschwerdung, die Wandlung allen Jammers in Freude, durch das Nadelöhr dieses Werkes führte.

Manchmal bewegte er sich durch das Klavierzimmer wie eine Spinne beim Weben ihres Netzes. Er dachte, ich gehe keinen Weg innerhalb dieses Raumes ein zweites Mal. Wenn ich alle Wege gegangen bin, setze ich mich ans Klavier und schlage mit dem Ringfinger ein Gis an, das weitere wird sich von selbst ergeben. Am Gis hängt das ganze Werk. Er hörte ein in einem Klang gefangenes Orchester, das alle Töne einer gewaltigen Komposition im selben Augenblick spielte. Die Zusammenfassung der Symphonie in einer einzigen, kurzen Dissonanz. …

… Aber dann wiederum zweifelte er, ob nicht mehr Zeit bis zur Auffindung des Sesam-öffne-dich verginge als jene, die er benötigen würde, Augenblick um Augenblick, Stunde um Stunde, Monat um Monat die Stimmen der einzelnen Orchesterinstrumente fein säuberlich auf Notenpapier zu erfinden und zu arrangieren.

Der Ruf hört nicht auf. Nie.

Kennst du deinen Kammerton?

Der Ruf ändert nur seine Gestalt, wechselt von Dur auf Moll, klingt finster und bedrohlich, wechselt vom Kammerton in die Dissonanz des Jammertons. Anfangs ist es uns noch darum zu tun, den Dingen des Lebens, die uns wichtig sind, oder die wir für wichtig halten, mit suchendem Blick und flinkem Schritt nachzuhetzen, damit wir dazu gehören, in sind, im Trend liegen und also unser Leben erfolgreich gestalten können mit allem, was unter der Vokabel Wohlstand zu verstehen ist. Deshalb wehe, wehe, wenn ich etwas übersehe! Etwas versäume! FOMO, die Fear Of Missing Out klebt uns an den Fersen. Und dabei hören viele – und es steht zu befürchten: die meisten – einfach weg, wenn etwas anderes ruft, dort an der Kreuzung, an der wir uns täglich entscheiden zwischen dem, was wir wollen und dem, was wir brauchen, eigentlich. Klavierstimmer sein oder Komponist nicht sein? Das ist hier die Frage.

Nein, der Ruf hört nicht auf. Nie.

Die FOMO, die Fear Of Missing Out schießt ins Kraut und wächst sich in eine POMO aus, in die Panic Of Missing Out. Denn, was wir versäumen, während wir vorn dabei sind und mittendrin und obenauf, was wir wirklich versäumen, ist unsere echte, ureigene Aufgabe. Das spüren wir mit Unbehagen, schlechtem Gewissen, Burnout, Sinnlosigkeitsgedanken und noch viel mehr.

Im vorigen Blogartikel „Warum deine FOMO zur POMO wird?“ habe ich dazu einige Gedanken aufgeschrieben. So viele Reaktionen wie auf diesen habe ich selten erhalten. Vielen Dank! Besonders an Ulli, Christoph und Jeanette für euren Lichtblitz: „Die bessere POMO wäre ja die Power Of Missing Out!”

Das heißt in euren Worten:

„Nicht überall dabei sein, einfach mal nichts kommentieren gibt Kraft und die Möglichkeit, in sich Kraft und Sicherheit zu finden.”

„Wenn der innere Kompass sagt, das will ich doch gar nicht, das ist nicht meine Story, dann entsteht durch die bewusste Entscheidung eine große Kraft und innere Ruhe.”

„… gerade in Zeiten des ständigen online und dabei und mittendrin sein zu wollen, auch mal zu abstinenzeln …”

Da fällt mir Viktor E. Frankl ein, der warnte „Wenn ein Mensch keinen tiefen Sinn finden kann, lenkt er sich mit Vergnügen ab.”

Befreist du dich?

Die Power Of Missing Out – das ist die Befreiung von derlei Ablenkungen, die uns verführerisch locken wie die Sirenen den irrfahrenden Odysseus auf seinem Heimweg. Die Power Of Missing Out stellt unseren Fokus auf unseren Leuchtturm scharf, in dem dort am fernen Horizont nichts anderes leuchtet als unser inneres Feuer. Für jede Sirene, die verstummt, haben wir nun ein offenes Ohr für unsere Stimme. Jede Ablenkung, die wir mit einem klaren Nein in unseren Acker pflügen, verwandelt sich dort als Gründünger zum Nährstoff unserer Aufgabe, für die Früchte, die wir schließlich teilen können.

Joseph Campbell hat uns „Follow your bliss!” zugerufen und: „Wir müssen bereit sein, uns von dem Leben zu lösen, das wir geplant haben, damit wir das Leben finden, das auf uns wartet.”

Ja, die Pfiffigen sind jene, die sich auf die hohe Kunst des Schattentauchens verstehen. Denn unsere wirklich wichtigen Angelegenheiten liegen meistens in der Finsternis in uns drin. Verstellt, verborgen, verstaubt. Die Pfiffigen tauchen beherzt rein in den Schatten, sie tauchen unter, sie verwandeln den Schatten in Drachenblut und sie tauchen daraus selbst verwandelt wieder auf: unbeirrbar, unbesiegbar, unbeugsam. Sie bringen alles ans Licht, was wichtig ist, was wesentlich ist, in ihrer ureigenen Wahrhaftigkeit. Sie gelingen sich selbst.

Sie drehen so ihre beiden Lebenswegweiser „Was ich will” und „Was ich brauche” in dieselbe Richtung. Der Pfeil zeigt nun auf „Wer ich bin und wofür ich da bin”. Endlich wollen sie, was sie brauchen. Man nennt das neuerdings Meaning, Purpose oder Why. Tatsächlich bedeutet es: Sinn.

Ich selbst habe Jahrzehnte gebraucht, das zu hören, zu verstehen und anzunehmen, eine prächtige Schattenkarriere inklusive, zwei stramme Burnouts auf meine dorthinein „verschleppte Kränk” obendrauf. Und ich bin mir bis heute noch nicht ganz sicher, ob ich schon alles auf meinen persönlichen Kammerton transponiert habe, damit er nicht nur mit ohnedies Gleichgesinnten in Schwingung kommt. Doch zum Glück habe ich eine Reihe von Mentoren, deren weise Klugheit mich begleitet. Manche schon seit vielen Jahren, manche als Lebensabschnittsmentoren, die allermeisten in Gestalt ihrer Bücher, die nach ihnen auf Erden blieben. Sie halfen und sie helfen mir dabei, meine Geschichte, meine Story zu verstehen und mich nicht hinters Licht führen zu lassen. Der Heilige Viktor Frankl, der Heilige Joseph Campbell und der Heilige C. G. Jung – so heißen drei dieser Sterne, an die ich meinen Pflug binde.

Ihre Mentoring-Programme sind übrigens nach wie vor für alle geöffnet, die Teilnahmegebühr in der Höhe des Kaufpreises ihrer Bücher (vielfach sogar aus zweiter Hand zu haben) wird sich mit einem ROI verdanken, der selbst Gordon Gekko die Schamesröte ins Gesicht treibt. Denn während bekanntlich in der untergehenden Sonne auch Zwerge lange Schatten werfen, machen dir & mir diese Geistesriesen die Räuberleiter, damit wir auf ihren Schultern über unseren Schatten hinaussehen, auf unseren möglichen Weg, den sie uns mit ihren hellen Gedanken ausleuchten. Unbezahlbar, eigentlich.

Wenn du für dich selbst, deinen Beruf, dein Unternehmen, dein Team oder deine Marke spürst, dass in dir die Power Of Missing Out wächst und endlich eine, endlich deine neue Geschichte gebraucht wird, wenn du wie viele andere im Aufbruch, am Sprung in den Schatten hinein bereit zur Verwandlung bist, wünscht du dir vermutlich unterstützende Begleitung auch durch einen irdischen Mentor. Und wenn du das Gefühl hast, ich könnte dieser für dich sein, wäre es mir eine Ehre, dich mit meinen New Story-Programmen dabei zu begleiten. Alles dazu findest du hier, hier oder hier.

Mentoren trifft man vielerorts, mitunter auch im Café Stern, das von Ferdinand Alt bewohnte, in Nachbarschaft und allerbester Gesellschaft von zahllosen Schattentauchern, Verwandlunsgreisenden und hauptberuflichen Fetzenschädeln, auf ihren Lehrstühlen in dieser Universität des wahrhaftigen Lebens, das ein anständiges Wiener Kaffeehaus einst zu sein pflegte. Viele ihrer Vorlesungen im Wirbelsturm von Geschichten und dem Strudelauflauf aus G’schichterln klingen bis heute in ihm nach wie eine unvollendete Symphonie, am hellsten aber jene mit dem Paukenschlag meiner Großmutter, der alten Story Dudette, unter dem verheißungsvollen Titel: „New Story. New Glory.“

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