Markus Gull
Blogbeitrag quer 10

Warum deine FOMO zur POMO wird?

Als eines der markanten Phänomene unserer Zeit erleben wir FOMO – die Fear Of Missing Out, die Angst, etwas Superwichtiges zu verpassen. Angewachsen ist die FOMO vermutlich dort, wo die allermeisten unserer Ängste wurzeln: im nährstoffreichen Humus der unteren Etagen in Abraham Maslows Bedürfnishierarchie, also dort, wo’s ums nackte Überleben geht, um Sicherheit zumal. Dort lässt ja unser Gehirn noch heute verlässlich die gleichen Alarmglocken erklingen wie einst in der guten alten Steinzeit, damit wir möglichst lang am Leben bleiben. Denn, falls ich etwas übersehe, droht Gefahr: Säbelzahntiger von hinten, meuchlings ein Keulenschlag, Blitz aus offenbar doch nicht ganz heiterem Himmel. Alarm! Rette mich, wer kann! – Die Fear Of Missing Out als Sicherheitsschild für Haut und Haar.

Was nach wie vor Sicherheit verspricht, ist, im Rudel zu bleiben und gleichzeitig ringsum nach Bedrohungen Ausschau halten.

ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU!

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!

Heutzutage erledigen wir das vielfach so, indem wir durch Social Media-Plattformen scrollen in der Hoffnung, alle Zugehörigkeits-Codes zu entdecken und bloß nichts zu versäumen, damit wir nicht schlagartig außerhalb des Rudels stehen, das mittlerweile Bubble oder Community heißt. So erzählen wir einander und uns selbst ständig Geschichten darüber, wodurch diese Zugehörigkeit entsteht und woran wir die Mitglieder unseres Rudels erkennen. Zum Beispiel daran, was wir achten und was wir ächten, was wir liken oder dissen, was wir kaufen oder nicht. Wer etwa mit der Mode geht, setzt ein sichtbares Zeichen einer positiv genommenen FOMO-Hürde. Wenn du aussiehst wie alle, bist du dabei.

Auch Sprachcodes, die in unterschiedlichen Milieus verwendet werden, sollten keinesfalls ausgelassen werden. Wenn du zum Beispiel in der Startup-Szene deinen Pitch nicht mit „… geh…nau …” beginnst, kannst du deinen Traum vom Einhorn safe canceln. Just saying.

Sicher ist sicher, also: FOMO. Kennst du, oder?

Ich selbst kultiviere eine spezielle Mutation des FOMO-Virus, nämlich die FOMI, die Fear Of Missing Information. Als gastfreundliches Wirtstier dieses Virus‘ führt bei mir allein der Gedanke, irgend etwas nicht zu wissen, nicht verstanden oder gar übersehen zu haben, vor allem in meinen speziellen Arbeitsfeldern, zu Unbehagen an der Grenze kaum erträglicher körperlicher Beschwerden. Rechercheritis ist ein damit verbundenes Symptom, Buchhandlungen sind meine Apotheken. Deshalb lautet der kürzeste Witz der Welt: Markus Gull geht an einer Buchhandlung vorbei. Doch auch die Bestellung von Büchern geht mir, dem unheilbaren FOMI-Patienten, ebenfalls leicht von der Hand. Dank der mittlerweile wirklich gut funktionierenden Second-Hand-Buchplattformen wird dabei gleich zweimal Geld gespart. Ich spare beim Buchkauf, und der Paketbote spart sich die Kohle fürs Fitnessstudio.

Haben oder Schein?

Die Fear Of Missing Out und die üblichen Maßnahmen zu deren Bewältigung zeigen sich oft ganz deutlich und offensichtlich im Materiellen. Was wir tun, was wir kaufen, womit und mit wem wir uns umgeben verarbeitet und sendet Signale im Kreise Gleichgesinnter. Solange niemand dabei Schaden nimmt – sei’s drum.

In zunehmendem Masse beobachte ich allerdings eine Variante der FOMO, über die wir dringend reden sollten. Im Inneren vieler, vieler – allzu vieler – Menschen, in unzähligen Unternehmen, in unserer Gesellschaft insgesamt wuchert sie, lange unerkannt. Doch eines Tages bricht sie aus. Diese Furcht betrifft das ungelebte Leben. Dein leider ungegründetes Unternehmen, die noch immer nicht gelernte Fremdsprache, dein seit immer ungeschriebenes Buch und so weiter und so fort. Darüber erzählen wir uns altbekannte Märchen, die mit „Irgendwann-werde-ich …” oder „Eigentlich-will-ich ja …” beginnen und allzu oft spinnwebenbehängt mit „Es wäre einmal gewesen …” enden. Auch das kennst du? Kein Wunder, das kennen die meisten (inkl. yours truly).

So wie ich das sehe, ist diese Gefahr wirklich lebensbedrohlich. Denn die innere FOMO ist dort angewachsen wo wir in uns selbst wurzeln, wachsen und gedeihen. Wenn alles gut geht wachsen und gedeihen. Dort wo das ewige Licht unseres Daseins-Sinns glimmt. Dort, wo wir uns selbst wahrhaftig gelingen können – als Menschen, als Unternehmen, als Spezies. Gelingen könnten.

Vor einigen Jahren hörte ich eine Psychotherapeutin sagen: „Menschen, die an Panikattacken leiden, sind meist jene, die ihr Leben nicht leben.” Die FOMO mutiert zur POMO, zur Panic Of Missing Out. Panik ohne sichtbaren Grund, denn die Gefahr lauert in der inneren Finsternis. Und wenn Gefahr droht, verfallen wir allzu leicht in den Flight or Fight-Modus. Wir flüchten uns in Ablenkung, Vergnügung, Shopping, Drogen, Alkohol und Schokoeis, oder wir bekommen unbändige Wut auf alles und jeden, am heftigsten auf uns selbst.

Wir bekämpfen alles und jeden. Am heftigsten uns selbst.

FOMO – die Fear of Missing out. Was versäumen wir? Doch nicht weniger als unser Menschsein.

FOMO – die Fear Of Melting Out. Der Eisblock des ungelebten Lebens schmilzt in uns und sickert als Gift in uns ein, aus uns heraus, versaut und vergiftet unsere Welt, ja: die ganze Welt. Viele können das nicht artikulieren, die meisten aber spüren es.

Die innere Reise des gelebten Lebens, vom Aufbruch aus der Komfortzone, weiter durch unwegsames Gelände hin zur eigenen Bestimmung und schließlich zurück in den sicheren Hafen als verwandelte wahrhaftigere Version seiner selbst, mit der Gabe der gewonnen Erkenntnis als Geschenk zum Nutzen aller in Händen – das ist es, was Story wirklich bedeutet. Universell: für jeden Einzelnen von uns, für unsere Lebenskapitel, für Unternehmen, für Teams, für Nationen, Kulturen und Gemeinschaften. Dieser Reise verweigern sich viele, die meisten, steht zu befürchten.

Wie konnte es so weit kommen?

Nun, ich meine, es hat wie so vieles mit den Geschichten zu tun, die wir uns erzählen, mit den Narrativen unserer Kultur, mit den prägenden Erzählungen in der westlichen Welt. Eine fällt mir augenblicklich ein, nämlich „Lebensglück durch materiellen Wohlstand.

”Gegen Wohlstand gibt’s nichts zu sagen, im Gegenteil. Doch darf Wohlstand nie und nimmer das echte Ende, oder gar das Thema der Geschichte sein, sondern nur ihr Happy End. Denn nach dem Happy End geht’s schneidig weiter, da geht’s erst richtig zur Sache. Nach dem Happy End wird’s wirklich ernst. Da zeigen wir, ob und was wir gelernt haben, oder nicht, und was wir damit anstellen.

Wenn König Arthur im Happy End das Schwert Excalibur aus dem Stein zieht und also König ist, dann freuen wir uns für ihn und mit ihm, wissen aber, dass FOMO & POMO bereits um die Ecke lauern. Davor kann ihn nicht mal Merlin beschützen. Nur Arthur selbst kann das tun, indem er seinen Ruf annimmt und als König im durch Kriege im Chaos versunkenen Reich für Frieden sorgt.

Selbes gilt für alle Königreiche – vom eigenen privaten Little Kingdom bis hin zur Erzählung für Kulturen und Nationen. Und für die bessere Geschichte eines Unternehmens gilt das erst recht. Für die bessere Geschichte als jene, die von stets fürstlichem Profit und königlichen Marktanteilen handelt. Sie erzählt von der positiven Veränderung, die durch die Arbeit eines Teams entsteht. Ach, diese Geschichte wird nicht nur erzählt, sie wird viel mehr authentisch erlebbar, im Inneren eines Unternehmens genauso wie in seinem äußeren Handeln. Erst so bekommen strammer Profit und prächtige Marktanteile Bedeutung über die erfreuliche Materie hinaus. Eben dafür sind doch Unternehmen da, nicht wahr? So entsteht Sinn im Tun für alle, die im Unternehmen wirksam sind, als Teil eines wertvollen großen Ganzen. So entsteht in deren Berufs- und Arbeitswelt (fast) täglich erlebbare FOMO-Prophylaxe.

Das verborgene Gift der Panic Of Missing Out – ist das nicht dasselbe Phänomen, das uns in unseren gebeutelten, brüchigen Demokratien ankreischt? Wir hören es als Knirschen im Gebälk unseres Heimathauses, in dem die Tapete brennt. Wir erschrecken vorm Geschrei im Hass gegen … ja, gegen wen denn? Gegen die Anderen, wer auch immer das ist. Jedenfalls, so viel ist gewiss: die Anderen sind nicht wir. Sie sind nicht wie wir, sondern anders und deshalb falsch, sind fehl am Platz. Dergestalt giftelt sich die POMO durchs kollektive Nervensystem.

Wütet diese Panic of Missing out nicht weltweit und strukturell mittels Politiker:innen, die ihren Ruf als Weltgestalter ignorieren, sondern ihren Auftrag und ihren Wert in der Stimmenmaximierung, viel mehr: in der Stimmenminimierung aller anderen missverstehen, und damit die eigenen Karten für den Partikular-Egoismen-Poker kunstvoll zinken?

Ist es denn ein Wunder, dass Hass, Ausgrenzung und Entwürdigung bis hin zu Mord und Totschlag nicht und nicht aus dem Skillset der Akteure verschwinden, sondern im Gegenteil, immer öfter den offenbar erlaubten Ton anschlagen?

Wir wissen längst, dass Kulturen nicht nur, aber auch, besonders auch darüber definiert werden, welche die größte Ungeheuerlichkeit ist, die noch geduldet wird. Die sogenannten Shifting Baselines – die veränderten Referenzpunkte – in Sachen Salonfähigkeit markieren unsere Kapitel der Menschheitsgeschichte. Was hier und heute hörbar wird, das klingt nach Alarm. Es geht schon nicht mehr um eine Fear Of Missing Out, wir versäumen bereits in Tat und Wahrheit ganz alltagspraktisch unser Menschsein.

Was können wir tun? Wie werden wir stark?

Zuerst gilt es zu verstehen, dass sich Dinge so oder so nur dann verändern, wenn sich die Geschichte verändert, die wir uns darüber erzählen. Und weil wir wissen, dass jede echte Geschichte, egal ob archaische Mythologie, vitale Brandstory, packender Blockbuster oder das bewegende Narrativ einer Gesellschaft, in ihrem Kern von Werten handelt, sehen wir am besten nach, wo uns denn unsere Werte verrutscht, aus der Balance geraten oder gar abgestorben sind. Manche Werte haben ihre Bedeutung gewandelt, manche haben an Bedeutung verloren, manche bedeutenden Werte haben wir verloren – aus dem Auge, aus dem Sinn.

Aber Achtung! Hier geht’s nicht um das Heraufbeschwören vom Trugbild einer guten alten Zeit, die beim wachen Besehen vor allem alt ist (obwohl ein Bergen der respektvollen Umgangsformen aus der Nihilismus-Lawine bestimmt ganz dienlich wäre). Es geht um ein Rückbesinnen auf das, was wir bereits wussten. Es geht um eine Neuentdeckung des Wertvollen, und was das im Hier&Heute bedeuten kann, damit wir wirkungsvolle positive Antworten auf die Frage: „Wofür sind wir da?” finden können. Wofür sind wir da – als Menschen, als Unternehmen, als Gemeinschaft?

Dafür brauchen wir nicht weniger als eine revolutionäre neue Geschichte, die NEW STORY REVOLUTION – eine Neue Story, die uns als Menschen stark macht, und somit als Unternehmen und als Gesellschaft. Diese New Story setzt den Schlussakkord im Anthropozän und stimmt den Grundton für das neue Zeitalter des Humanozäns an.

Diese neue Geschichte ist Not-wendig. Sie stellt alles auf den Kopf, sie stellt alles richtig. Sie erzählt davon, wofür wir da sind, wir Menschen, als einzige Spezies, die Schönes erschaffen kann, einfach so – damit es Schönes gibt. Die einzige Spezies, die überhaupt erschaffen kann und heilen – sich selbst und andere. Und mehr noch: die all das nicht nur kann, sondern das sogar tun muss, damit sie gesund bleibt an Geist und Körper, weil sie dadurch Sinn erlebt, oder eben von der Fear Of Missing Out gebeutelt wird. Das ist die Bedeutung von Purpose, Why und Meaning, wie man neuerdings im Business-Kontext offiziell dazu sagt, und hoffentlich nicht inoffiziell Marketing-Gag meint. Diese NEW STORY ist die Brandmauer, die uns vor FOMO und POMO abschirmt.

Die neue Geschichte dreht sich um einen zentralen und mittlerweile revolutionär neuen Wert. Sie erzählt vom Gleichklang in Verbundenheit, auch von Gegensätzen, in einer besseren Zukunft, in der wir einander beflügeln, anstatt bekämpfen. Sie handelt vom Ermöglichen anstatt vom Verhindern, vom Zuhören, vom sich aufeinander Einstimmen, von Kooperation, der wechselseitigen Unterstützung, vom Verstehen, von Bildung als Herzensbildung.

In dieser Zukunft müssen wir die lodernde FOMO, das Sinn-Vakuum in uns, und vor allem in der so genannten Wirtschaft, in unseren Unternehmen und in unserer Gesellschaft, nicht mehr durch Karrieren, Kennzahlen und Konsumismus, also durch materielles Wachstum um des Wachstums willen, durch Profit und Gewinn durch Besiegen, mittels der Ausbeutung von Ressourcen, vergeblich zu stopfen versuchen. In dieser Zukunft gehen wir aufeinander ein und aufeinander zu, aber niemals, niemals aufeinander los.

In dieser Zukunft beginnen wir die Geschichte der FOMO mit den Worten: „Es war einmal …”, denn jeder von uns hört seinen Ruf und nimmt ihn an – im Großen oder im Kleinen, im Universellen oder im Privaten. Die meisten von uns haben ihn ja sowieso längst vernommen, viele haben weggehört, manche haben ihn überhört, oft wurde er einfach übertönt.

Wenn du für dich selbst, deinen Beruf, dein Unternehmen, dein Team oder deine Marke spürst, dass eine neue Geschichte gebraucht wird, wenn du wie viele andere im Aufbruch, am Sprung zur Verwandlung bist, wünscht du dir vermutlich unterstützende Begleitung durch einen Mentor. Und wenn du das Gefühl hast, ich könnte das als Mentor für dich sein, wäre es mir eine Ehre, dich mit meinen New Story-Programmen dabei zu begleiten. Alles dazu findest du hierhier oder hier.

Das ist in jedem Fall eine inspirierende FOMO- und POMO-Therapie. Mit meiner FOMI habe ich mich übrigens längst abgefunden, wenn nicht befreundet, spätestens seit meine Großmutter, die alte Story Dudette, mir ein stattliches Therapiepaket neben mein Bett kippte, auf dem zuoberst ein Buch mit dem magischen Titel lag: „New Story. New Glory.”

 

Jetzt teilen

Newsletter Abo