Markus Gull
Schild eines Arbeiters sitzend mit Schaufel und Flasche in der Hand

Warum wir besser nicht arbeiten sollten, damit wir besser arbeiten?


Diese Zeilen entstehen am 1. Mai vulgo „Tag der Arbeit”. Der wird vor allem dadurch gefeiert, dass niemand arbeitet. Und die unselbständig Beschäftigten, die’s trotzdem tun, bekommen üblicherweise extra dafür bezahlt, oder einen Ersatztag arbeitsfrei. Da soll sich einer auskennen.

ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU!

Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!

Vorhin war ich auf meinem Morgenlauf unterwegs. Vereinzelt begegneten mir Grüpplein der Arbeiterbewegung, die sich in Richtung der einschlägigen Großkundgebung in Wien bewegten, bewehrt mit Transparenten, auf denen Parolen und allerlei an Forderungen zu lesen stand. Hauptsächlich ging’s dabei um weniger Arbeitszeit und mehr Geld dafür. Worum denn sonst?

Viele sagen, wenn sie nicht arbeiten, sie haben frei (oder Homeoffice). Also, wenn sie arbeiten, sind sie folglich unfrei. Das sagt doch was, nicht wahr.

Nun gut, man kann – wie alles andere auch – das Phänomen Arbeit in verschiedenen Perspektiven besehen, sich eben ganz unterschiedliche Geschichten darüber erzählen. Blenden wir mal Selbständige, Unternehmer:innen und Gründer:innen aus und bleiben wir bei jenen, die man Arbeitnehmer nennt.

Da gibt’s jene, die machen halt einen Job, damit sie hoffentlich genug Geld zum Leben verdienen, und weil immer öfter nicht, machen sie noch einen zweiten Job dazu. Oder einen dritten. Denk mal an Reinigungskräfte. Da zählen die Stunden, die man reinballert und der Lohn dafür. Und dann hat man eben frei.

Die zweite große Gruppe verbindet mit Arbeit sowas wie Selbstverwirklichung und oft auch den Selbstwert. Da zählt Leistung, Aufstieg, Erfolg, Management, Karriere. Solche Sachen. Da hat man fast nie frei, sonst wäre man ersetzlich, und das will man nicht sein. Bis man halt bemerkt, dass man’s ist.

Diese Leute treffen sich gerne zum After-Work. Da ist kaum etwas sicherer, als dass gleich mal Drinks serviert werden. Wie ich auf den Selfies in den Social Media-Schaufenstern sehe, schwimmt nahezu ausschließlich Aperol Sprizz, Gin Tonic, Wein oder Bier in den Gefäßen. Aber nicht lang, dann befindet sich das alles in den After-Workern persönlich. Und einen haben wir dann immer noch genommen, oder?

Was ist das? Eine Belohnung? Oder ein Trost?
Vermutlich beides, fürchte ich.

Die allermeisten dieser Menschen kommen mit gutem Ausbildungs-Hintergrund von Arbeitsplätzen, an denen die Karriereleiter stabil lehnt und prinzipiell kein finsterer Schatten von Leid & Entbehrung fällt. Sie starten mit einer riesigen Ambition ins richtige Leben und nach einiger Zeit freuen sie sich beim Frühstück auf die Mittagspause, zu Mittag freuen sie sich aufs After-Work, beim After-Work freuen sie sich auf den Urlaub und im Urlaub freuen sie sich auf die Rente. Viel vergeudete Lebenszeit, aber gefreut haben wir uns oft. – Prost!

Was machen denn diese armen Menschen den ganzen Tag über in Sachen geplanter Selbstverwirklichung, dass danach reflexartig Alkohol draufgeschüttet werden muss? Fragen über Fragen.

Dann gibt’s noch eine kleine, eine allzu kleine Gruppe, deren Mitglieder den ganzen Tag emsig beschäftig sind. Sie werken, ohne auf die Uhr zu sehen, freuen sich (meistens) am Morgen auf das, was kommt und am Abend (meistens) auf den nächsten Tag. Diese Menschen arbeiten tagein tagaus, aber doch nicht.

Ich darf mich glücklich schätzen, nachdem ich die erste Gruppe mit Studentenjobs erlebt und die zweite trotz einer ansehnlichen Werbecreativen-Karriere überlebt habe, dort in Gruppe 3 angekommen zu sein. Zugegeben, ich hab’ ein ziemlich privilegiertes Leben: ich habe nie frei, keine Freizeit. Wer Freizeit hat, hat nämlich vorher Arbeitszeit. Die habe ich aber auch nicht.

Das war nicht immer so. Im Gegenteil. Viele Jahre hatte ich nahezu ausschließlich Arbeitszeit + Überstunden. Mittlerweile habe ich die Zeitrechnung umgestellt, und zwar auf Lebenszeit, 24 Stunden täglich, siebenmal die Woche. Mein Geschäftsjahr beginnt jetzt, mit einem Eigenkapital von 31.536.000 Sekunden, in denen ich etwas bewirken kann.

Ja, ich mache heute in meinem Beruf vielfach etwas ganz anderes als früher, doch diese Umstellung war, so offensichtlich sie auch ist (oder scheint), bei weitem nicht maßgeblich. In Wirklichkeit mache ich dasselbe wie zuvor, es sieht nur meist ganz anders aus, denn die Umstellung erfolgte nicht auf meiner To-do-Liste, nicht im Stundenplan, sondern im Kopf. Seit ich das, was man Arbeit nennt, als meine Aufgabe verstehe, hat sich die Trennlinie zwischen Arbeitszeit und Freizeit in Luft aufgelöst und mein praktisches Tun völlig verwandelt. In dieser Reihenfolge.

Ich stelle meine Talente und Fähigkeiten freudvoll und bereitwillig meiner Aufgabe zur Verfügung und erfülle sie mit der mir möglichen Exzellenz. Diese Aufgabe erfüllt mich. Und wenn ich mir jene Menschen ansehe, die jenseits dessen, was man mit hergebrachten Erfolgsparametern messen kann, erfolgreich sind, dann haben sie alle genau das gemeinsam. Sie haben keine Karriere, sie haben eine Aufgabe. Groß, klein, alltäglich, weltbewegend, im Beruf – aber längst nicht unbedingt dort.

Seit ich diese neue Perspektive gewonnen habe, hat sich mein Fokus geschärft. Ich wurde viel genauer im Umgang mit allem, was ich mache und sehr großzügig mit allem, was ich nicht mache. Jahrzehnte hab‘ ich gebraucht, das zu hören, zu verstehen und anzunehmen, eine prächtige Schattenkarriere inklusive, zwei stramme Burnouts obendrauf.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Welche Geschichten erzählen wir uns über Arbeit? Es ist doch in weiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung die Geschichte von Bürde und Lebensleid, oder?

The Boss, wie wir den großen Vorsitzenden Bruce Springsteen vorschriftsmäßig nennen, hat dazu einen, wie ich finde, grandiosen Song geschrieben: Factory.

Darin heißt es:

Through the mansions of fear, through the mansions of pain

I see my daddy walking through them factory gates in the rain

Factory takes his hearing, factory gives him life

The working, the working, just the working life

Wir fragen uns deshalb, wie wir unser Arbeitsleben schneller, effizienter, leichter bewältigen können. Manche fragen sich sogar, wie sie besser arbeiten können, und viele von ihnen meinen mit besser wieder: leichter.

Mit zunehmender Digitalisierung und Dank allem, was die KI auf Lager hat, kommen ein paar neue Fragen dazu.

Wer wird überhaupt noch arbeiten?

Wann und wie viel werden wir arbeiten?

Was werden wir arbeiten?

Einige Antworten darauf werden uns zuerst mal erfreuen, aber dann in konsequenter Wahrheit nicht gefallen. Sie passen ganz einfach nicht zu der üblichen Story, die wir uns über Arbeit erzählen: Salär und Selbstwert für Leistung und Lebenszeit. Möglichst wenig geben und dafür möglichst viel nehmen.

Sobald wir verstanden haben, dass man jene LKW-Fahrer, die man nicht zu Programmierern umschulen konnte, nicht im großen Stil für Pflegeberufe begeistern kann, dass Copy-Paste-Vertragsherstellungsjuristen durch AI genauso wegdigitalisierbar sind wie Top-Gehirnchirurgen durch Präzisionsroboter, werden uns ganz andere Fragen würgen. Spätestens, wenn – hm … 25 Prozent? – der so genannten arbeitsfähigen Menschen mit unterschiedlichster Begabungs- und Ausbildungs-Ausstattung in den gelernten Arbeitsprozessen schlichtweg nicht mehr gebraucht werden, ist es hoch an der Zeit, die Frage nach wer, was, wann, wieviel durch eine bessere zu ersetzen, die dann auch als sprudelnder Springquell für eine neue Story über Arbeit bereit liegt.

Sie lautet ganz einfach: Warum arbeiten wir? Oder anders auch: Menschliche Arbeit, was ist denn das?

Die Antwort darauf gibt gleichzeitig Auskunft auf die Frage, warum wir denn hier sind, wir Menschen, was denn der ja: Sinn unseres Daseins sein könnte. Ist Arbeit wirklich die Verurteilung zu Lebensleid oder gar die Möglichkeit zur Weltgestaltung? Ein bissel wenigstens?

Sind wir nicht die einzige Spezies auf Erden, die etwas erschaffen kann, etwas heilen kann, Schönheit und Weisheit verwirklichen, und zwar für andere? Für die Gemeinschaft für das positive Verwandeln des großen Ganzen in etwas größeres Gänzeres? Wäre nicht das unsere Aufgabe, unsere Arbeit?

Das klingt doch in Fritz Brügels Liedtext zu Die Arbeiter von Wien an:

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt,

Wir sind der Sämann, die Saat und das Feld.

Wir sind die Schnitter der kommenden Mahd,

Wir sind die Zukunft und wir sind die Tat.

Unsere Arbeitswelt braucht sowieso wie das allermeiste, an dem wir aus alter Gewohnheit klammernd hängen wie die Faultiere an ihrem Ast, eine radikale Neudefinition, eine neue Story. Warum nicht gleiche eine, die uns mit neuem Sinn auflädt? Die das Menschlich in menschliche Arbeit betont, mit dem Blick auf jede Form von Arbeit?

Mein Mentoring in Afrika.
Natürlich kann man aus einer privilegierten Position wie der meinen derlei Gedanken mit einer Leichtigkeit spinnen, von der an anderer Stelle kaum der Hauch einer Ahnung weht. Aber nicht unbedingt, ganz und gar nicht.

Das hat mir vor ein paar Jahren eine Mentorin in Afrika vorgeführt, eine Mentorin in der Gestalt einer Klofrau. Wenn du mal bei einer meiner Keynotes dabei warst, kennst du diese Geschichte vermutlich. Sie geht so:

Ich warte am Gate des Flughafens Kapstadt auf das Boarding für meinen Rückflug nach Wien, als mich per innerlicher Durchsage der Ruf der Natur ereilt. Das kleine Geschäft wäre zu erledigen. Als Vorbild für Adrian Monk kommt für mich selbstredend ein Besuch der öffentlichen Toilette am Flughafen von Kapstadt nicht in Betracht. Das frisch gereinigte WC im Flieger wird mich bald zur Erleichterung beherbergen, lautet mein Plan, der von Mutter Natur allerdings durchkreuzt wird. Wenigstens haben meine Schuhe keine Ledersohle, denke ich mir, am Canossagang in Richtung Flughafen-Toilette. Dort, an der Pforte, am Eingang zu meinem Besuch in der Hölle, werde ich von der Klofrau in Empfang genommen. Die war im speziellen Fall ein Klomann. Er, ein Schwarzafrikaner in seinen Vierzigern, in eine dunkelblaue so genannten Anzughose und ein blaues Hemd mit weißen Streifen verpackt, weist mir den Weg ins Innere, mit den Worten: „Welcome to my office, enjoy your meeting.” Dass mich diese Ansage augenblicklich wehrlos machte, versteht sich von selbst.

Dann, während mein Brünnlein fröhlich springt, kommt mir die Erkenntnis, dass mir dieser Mensch eine offenbar dringend nötige Doppellektion erteilte.

  1. Hör auf damit, ein chauvinistischer Stinker zu sein! Denn, wer außer deinen Vorurteilen sagt, dass eine öffentliche Toilette am Flughafen von Kapstadt dreckig sein muss? Sie war das Gegenteil davon.
  2. Dieser Mensch, der sich den größten Teil seines Arbeitslebens die Welt nicht durch eine rosarote, sondern durch eine Klobrille ansieht, hat sich die Story seiner Arbeit neu erzählt. Er putzt nicht den Dreck anderer Leute weg, sondern schafft Raum für Lebensqualität. Und das hat er in Tat und Wahrheit gemacht.

Ich vermute, dass er im Gegensatz zu mir, nicht zwei Burnouts brauchte, um zu verstehen, welche Nachricht in den Zeilen von Khalil Gibran, gerade auch für uns Potentials und High Potentials, steckt:

Und wenn ihr nicht mit Liebe, sondern nur mit Widerwillen arbeiten könnt, ist es besser, dass ihr eure Arbeit hinter euch lasst und am Tor des Tempels sitzt und dort Almosen von denen nehmt, die mit Freude arbeiten.

Denn wenn ihr mit Gleichgültigkeit Brot backt, dann backt ihr ein bitteres Brot, das den Hunger des Menschen nur halb stillt. Und wenn ihr die Trauben mit Groll quetscht, destilliert ihr Groll als Gift in den Wein.

Und wenn ihr auch wie Engel singt und dabei euren Gesang nicht mit Liebe füllt, dämpft ihr die Ohren des Menschen für die Stimmen des Tages und für die Stimmen der Nacht.
Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe.

Wenn du für dich selbst, deinen Beruf, dein Unternehmen, dein Team oder deine Marke spürst, dass die Fragen nach dem wahren Wert, dem Sinn deiner Arbeit lauter werden und du auf der Suche nach deiner Aufgabe bist, nach deiner neuen Geschichte, deiner NEW STORY, wenn du wie viele andere im Aufbruch, bereit zur Verwandlung bist, wünscht du dir vermutlich unterstützende Begleitung durch einen Mentor. Und wenn du das Gefühl hast, ich könnte dieser für dich sein, wäre es mir eine Ehre, dich mit meinen NEW STORY-Programmen dabei zu begleiten. Alles dazu findest du hier, hier oder hier.

So oder so gilt: wenn wir den Sinn in unserem Tun erkennen und erleben, sei es auch noch so scheinbar profan, wären wir alle zufriedener und liebevoller mit uns selbst als wir es jetzt sind, und mit unseren Mitmenschen auch. Unsere Welt wäre ein friedlicherer Platz als er es heute ist. Das kann an den ungewöhnlichsten Orten gelingen, an denen man auch Mentoren treffen kann. Mitunter ist das eine öffentliche Toilette in Afrika.

Wenn man dort definitiv nicht trifft, ist meine Großmutter, die alte Story Dudette. Die ist anderweitig beschäftigt, zum Beispiel mit der Herstellung eines prächtigen Transparents für den nächsten Maiaufmarsch, auf das sie mit heißer Nadel die weisen Worte stickt: „New Story. New Glory.“

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