Stell dir vor, du kommst uneingeladen auf eine Party und findest dich selbst so beschissen fehl am Platz, dass du zur Begrüßung sagst: „Ich bin N.N. und in fünf Sekunden kannst du mich wieder rausschmeissen – 4 – 3 – 2 – 1- Peng!” Und weg bist du. Unvorstellbar, oder? Unvorstellbar, aber wahr.
Für dieses System der Eigenpräsentation treten nämlich viele, viele Unternehmen eine Geldlawine los, und zwar in Form so genannter Preroll-Ads, also jener Werbefilme, die zum Beispiel auf YouTube vor dem Video laufen, dass man in Wirklichkeit sehen will. Meistens mit einem Countdown ausgestattet für – siehe oben …
Bei meinen Workshops und Keynotes stelle ich jedes Mal die Frage: „Wer findet diese Prerolls gut?”, und bisher hat noch kein einziger Mensch aufgezeigt. Kein einziger.
Bemerken die Auftraggeber nicht, dass sie selbst als User jedesmal die nervige Werbung im besten Fall wegklicken, sich aber im Regelfall ärgern? Und gehen trotzdem mit ihren eigenen Botschaften den anderen Menschen genauso auf den Wecker? Was ist los?
Jetzt reicht’s!
Warum lauern immer mehr (alle?) Menschen bei YouTube-Prerolls auf das Erscheinen des „Werbung überspringen”-Buttons? Warum kaufen sich immer mehr Menschen mit Upgrades zu Premium-Accounts von Werbung frei? Warum installieren immer mehr Menschen AdBlocker?
Weil die Menschen Werbung hassen? Die Vermutung liegt nahe, ist aber falsch. Die Antwort ist viel einfacher: Weil jeder Belästigung hasst. Das ist nicht neu.
Wir erinnern uns an das Phänomen des steigenden Wasserverbrauchs in den Haushalten während im Fernsehen Werbung läuft, als Indikator für massenhafte Toilettenbesuche? Gone are the days! Wer heute jedesmal die Toilette besucht, wenn der Unterbrecher-Werbeblock kommt, sollte dringend das Gespräch mit einem sehr gut beleumundeten Urologen suchen. Und zwar jetzt!
Das, was heute praktiziert wird, das ist nicht Advertising, sondern Adverstalking. Jeder liebt seine Kinder, niemand erträgt es, wenn sie ständig dazwischenplappern, obwohl sie längst verstanden haben, dass es so nicht funktioniert bei uns zuhause. Und irgendwann sagt dann eben jemand den nervigen „Kauf mich! Kauf mich! Kauf mich!”-Quenglern: „So, jetzt reicht’s! Ende!”
Und irgendwann schaut man eben den Blockbuster der Woche nicht mehr dort, wo einem deutlich mehr Werbung um die Ohren fliegt als explodiertes Zeugs bei einem Film von Michael Bay. Irgendwann liest man halt das Onlinemdium nicht mehr online, weil man – auch wenn man dafür bezahlt – ständig irgendwas Käufliches vor die Nase geschoben bekommt. Irgendwann installiert man dann einen AdBlocker.
Schluss mit unlustig.
Kürzlich hat das Münchener Oberlandesgericht den Einsatz von AdBlock-Plus für zulässig erklärt, und man ist versucht, dabei an den Notwehr-Paragraphen zu denken.
Andrerseits – das Argument, AdBlocker zerstören die Meinungsfreiheit, denn Werbung finanziere die freien Medien, und ohne Werbung bekäme man die Inhalte nicht, jedenfalls nicht um den relativ geringen Preis, stimmt natürlich. Stimmt fast. Denn:
- AdBlocker funktionieren nicht nur auf den Seiten der so genannten freien Medien.
- Wieso muss Information so wenig kosten, wenn wir andrerseits sehen, dass Menschen durchaus bereit sind, Geld auszugeben, damit sie keine Werbung mehr sehen?
- Habt ihr schon mal die Redewendung „Kind mit dem Bade ausschütten”gehört?
Wobei ich die von AdBlock-Plus den Medien angebotene Möglichkeit, sich über eine Whitelist aus der Blockade rauszukaufen, für ziemlich perfide halte.
Dass die Website-Betreiber reflexartig die Verwendung von AdBlockern verbieten lassen wollen und jenen Usern, die sie verwenden, den Zugang sperren, diese Reaktion ist verständlich. Aber dumm. „Recht geschieht meiner Mama, wenn mir die Finger frieren, dann kauft sie mir vielleicht Handschuhe …”
Ein Geschenk an die Menschheit.
AdBlocker sind ein Segen für die Online-Menschheit und besonders für die Marketingkommunikation. Und zwar in jenem verqueren Sinn, in dem gesagt wird, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hätte den Rechtsruck in den Niederlanden und Frankreich verhindert.
Denn hoffentlich früher als später werden – jedenfalls die intelligenten – Marketingkommunikations-Profis verstehen, dass nur eine einzige Methode an den AdBlockern vorbei führt. Es ist nicht Humor, oder Lautstärke, oder Emotion. Es ist Relevanz.
Push erzeugt Gegendruck.
Ohne massiven Druck von allen Seiten wird sich nämlich nichts ändern an diesem nervigen hinein Pushen von Werbezeugs. Chronische Störenfriede müssen draussen bleiben. Gäste, sogar Zufallsgäste, die etwas Interessantes zur Party mitbringen, sind herzlichst willkommen.
Selbstverständlich gibt es Wehklagen und Geheul aufseiten der Betroffenen. Denken wir nur an die Zeiten des FCKW-Verbots. Die gesamte Kühlschrank- und Klimanlagen-Industrie hat damals lückenlos bewiesen, dass damit der Untergang der Menschheit besiegelt würde. Was ist geschehen? Eben.
Oder Rauchverbote. In Österreich geht die Gastronomie noch immer vom Ende der Gastronomie und somit der Welt aus, sobald in Lokalen nicht mehr geraucht werden darf. Italien war eines der ersten Länder mit Rauchverbot, und das in einer Zeit, in der man einen Italiano zweifelsfrei an einer Zigarette im Mundwinkel und am regelmäßigen Korrekturgriff ans Gemächt erkennen konnte. Was ist geschehen? Eben.
Ähnlich wird das auch in Sachen Störenfried-Push-Push-Push-Kauf mich!-Werbung passieren. Die Werbe-Stalker dürfen sich weiterhin ans eigene Gemächt greifen, aber nicht mehr an unseres. Aber essen werden wir umso lieber bei ihnen, wenn sie etwas haben, was uns schmeckt. Relevanz am Teller. Sonst bleiben wir zuhause.
Howard Gossage hat noch immer recht.
Die gute Nachricht zum Schluss: im Prinzip hassen die Menschen Werbung nicht. Der Satz von Howard L. Gossage aus den 1950er Jahren stimmt nämlich immer noch: „Nobody reads advertising. People read what interests them, and sometimes it’s an ad.”
Werbung muss längst nicht mehr wie Werbung aussehen, um Werbung zu sein. Im Gegenteil. Und damit meine ich nicht Schleichwerbung. Im Gegenteil. Es gibt Werbung, die sogar sehnsüchtig erwartet und herzlich willkommen ist. Der Ikea-Katalog zum Beispiel. Der neue Lego-Movie. Das Red Bulletin. Das sind Beispiele für Werbung im besten Sinne. Nicht laut, aber deutlich. Mehr für den Nutzen des Publikums gemacht als für den vordergründigen Vorteils-Lobgesang der jeweiligen Marke. Und deshalb – vor allem deshalb – wirksam.
Es geht um Beziehungen.
Marketingkommunikation als Verkaufswerkzeug? Es wahr einmal … Heute geht es nicht mehr um Produkte. Heute werden Beziehungen eingegangen und Bedeutung gekauft. Die wichtigste Aufgabe von Marketingkommunikation ist somit Bedeutungs- und Beziehungs-Management.
Richtig interessant für alle Beteiligten wird es dann, wenn sich der allseits beliebte ROI – Return On Investment in Return Of Involvement verwandelt. Das geschieht dann, wenn die Kommunikation ihre Perspektive radikal verändert. Die Brandstory erzählt mittelbar die Geschichte der Marke, unmittelbar aber die Geschichte des Publikums. Denn die eigenen Story ist die einzige, die die Menschen interessiert.
Einmal mehr hole ich Always #likeagirl vor den Vorhang. Dieser Tage wurde ein weiteres Kapitel dieser exzellenten Kampagne aufgeschlagen. Das #likeagirl-Movement läuft mittlerweile im vierten Jahr, und alleine dadurch kann man auf einen Erfolg schließen. P&G hätte die Sache sonst unter Garantie längst abgedreht.
Die Marke versteht, wo sie für ihre Kundinnen relevant ist, wo die gemeinsamen Sehnsüchte und Werte liegen, also wo Relevanz, Bedeutung und damit eine Beziehung entstehen. Bei Always versteht man, dass sie zwar Damenhygiene-Produkte herstellen, aber im Selbstvertrauens-Business sind, denn dort entsteht die relevante Bedeutung.
Darum geht’s für jeden, der etwas zu verkaufen hat – sich selbst als einzelne Solopreneur-Dienstleisterin, eine Idee, ein Produkt, große Marken … es dreht sich immer um dasselbe. Das ist dein Business:
- Wo liegen die Sehnsüchte deines Publikums?
- Wo sind eure gemeinsamen Werte.
- Was kannst du dazu beitragen, dass diese Sehnsüchte und Werte von deinem Publikum gelebt werden können?
Relevanz erzeugt Pull.
Wer das schafft bemerkt AdBlocker nicht mehr, weil die Botschaft nicht gepusht und blockiert, sondern das Publikum durch Relevanz magnetisch angezogen wird. Pull entsteht, denn die Menschen wollen ins Gespräch kommen und mitmachen. Sie sehen persönlichen Nutzen für sich, eben Relevanz.
Wenn wir unser Publikum mit Dingen inspirieren, die in seinem Leben Nutzen bringen, dann müssen wir es nicht verzweifelt verfolgen, sondern die Menschen werden zu uns kommen. Die Voraussetzung dafür ist, dass jede Marke drei einfache Prinzipien versteht und aktiviert. Also – noch einmal – frage dich:
- Welchen Kernwert spreche ich nachhaltig an, also: welche Sehnsucht der Menschen teile ich?
- Wodurch kann ich diese Sehnsucht gleichermaßen stillen und nähren?
- Was kann ich anregen, verteilen oder initiieren, das den Menschen so wichtig ist, dass sie es weiter verteilen, weil sie dadurch mehr über sich selbst erzählen als über mich?
Ich denke nicht, dass Werbung tot ist. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Inhalte von Werbung längst hätten ändern müssen, denn Werbung, wie sie heute in aller Regel betrieben wird, ist tot. Sie verseucht wie ein schimmeliger Apfel im Obstkorb auch alles rundum, was noch genießbar wäre.
Wenn du also respektvoll mit deinem Publikum ins Gespräch kommen willst, dann involviere die Menschen mit einer für euch beiden relevanten authentischen Story. Denn, wie sagte schon meine Großmutter, die alte Story Dudette:
No Story. No Glory.
Bildhinweis:
Titelbild: Scream – Melissa O’Donohue, Flickr | Lizenz