Im Arsenal an Stehsätzen, das jedes Unternehmen vor sich herschiebt, liegt: „Der Kunde ist König!“ ganz oben, griffbereit gleich neben „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt.“ – Bist Du noch wach …?
Gern wird an „Der Kunde ist König …“ ein gelehriges „… und will auch so behandelt werden!“ angehängt, damit eines ganz sicher ist: Wir haben unter Garantie nicht verstanden, was ein König ist, deshalb kriechen wir denen, deren Geld wir wollen, einmal vorsichtshalber in den Arsch. Im dort herrschenden Schrecken der Finsternis werden wir zwar unter Umständen doch nicht das finden, was ja laut Legende am Ende des Regenbogens auf uns wartet, aber wenigstens ist es warm dort drin.
Wir lesen unseren Kunden jeden Wunsch von den Augen ab.
Wir sagen zu allem Ja & Amen.
Wir leben ja immerhin von unseren Kunden.
Und als Kunden benehmen wir und genau so.
Es gilt die goldene Regel:
Wer das Gold hat, macht die Regeln.
Wer zahlt, schafft an.
Schließlich sind wir Kunde, und der Kunde ist König.
Wer König so versteht, hat König nicht verstanden, sondern verwechselt ihn mit einem Herrscher im Reich der Willkür. Das kann nicht funktionieren.
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Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!
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Ein König regiert, er herrscht nicht.
Ein König (und sinngemäß auch eine Königin) unterscheidet sich von einem Herrscher (und sinngemäß von einer Herrscherin) am deutlichsten darin, dass Könige ihr Reich und ihre Untertanen beschützen und in unverbrüchlicher Treue zu ihrem Volk stehen. Sie sind persönliche Garanten für Sicherheit und Kontinuität, ihre Untertanen können sich darauf verlassen, dass stets alles zum Wohle des Reiches und seiner Einwohner geschieht. Dafür liefern die Bauern den Zehent ab. Das Ziel eines wahren Königs ist es, eine blühende, erfolgreiche Gemeinschaft zu schaffen und sie zu erhalten, und er macht das mit Verantwortung, mit Gestaltungswillen und Leadership.
Ein Herrscher hingegen entscheidet nach seinem persönlichem Gutdünken, vor allem zu seinem eigenen Vorteil, über Wohl und Weh, ihm gehört das Reich, und dessen Einwohner sind sein Eigentum, sein Wort ist Gesetz, und er nimmt sich, was immer er will.
Ein Herrscher braucht Macht, ein König hat Autorität.
Ein Herrscher schürt Angst, ein König macht Mut.
Ein Herrscher liebt Chaos, ein König gibt Orientierung.
Ein Herrscher setzt auf Unterdrückung, ein König auf Wachstum.
Ein Herrscher will hofiert werden, ein König ist höflich.
Donald Trump, Barack Obama.
Weil’s mir gerade einfällt: ein kleiner Ausflug ins Visual Storytelling. Pete Souza war der Haus-und-Hof-Fotograf von Ronald Reagan und Barack Obama. In seinem Instagram-Profil @petesouza und in seinem Buch „Shades – A Tale of Two Presidents“ stellt er mit Bildern die Persönlichkeiten Trump und Obama in ähnlichen Situationen dar und Trump quasi ohne Worte immer wieder bloß, wiewohl auch seine Kommentare durchaus lesenswert sind. Das ist teilweise erschreckend, immer wieder unfassbar komisch, in jedem Fall aber eine brillante Studie in Visual Storytelling und ein reich bebildertes Werk über den Unterschied zwischen Herrscher und König.
König Kunde – herrschen mit Angst, oder regieren auf Augenhöhe?
Das landläufige Bild vom Kunden als König bedeutet also in Tat und Wahrheit meist nichts anderes als: Der Kunde herrscht allmächtig. Wenn wir nicht tun, was er will, dann ist es vorbei mit uns. Wir fliegen im hohen Bogen aus seinem Königreich, das in vielen Fällen aussieht wie ein Einkaufskorb.
Mit einer starken Markenstory, die noch dazu gelebt wird, stellt sich diese Frage im Übrigen sowieso nicht, denn dann begegnen Kunde und Marke einander auf einer völlig anderen Ebene: auf Augenhöhe als Gleichgesinnte, die ein gemeinsames Anliegen haben. Der Kunde – besser gesagt: das Publikum – ist der Held dieser Geschichte, die Marke sein Mentor am Weg zum Ziel.
Die Marke Nike ist ein sehr gutes Beispiel für dieses Zusammenspiel. Nike – sieht aus wie Sportartikel, fühlt sich aber nach viel mehr an: nämlich nach der Chance, dass jeder Mensch Champion in seiner Liga werden kann, wenn er es nur versucht. Nike unterstützt dabei, zusammengefasst im Mantra Just do it. Wird diese Brandstory im und vom Unternehmen wirklich ernsthaft gelebt, dann stellt sich die Kunde-ist-König–Aufgabe erst gar nicht, sie wird ganz selbstverständlich gelöst, bevor sie überhaupt aufkommt, weil sonst die Brandstory gar nicht funktionieren würde, sondern doofer Werbelärm bliebe. Mensch im Mittelpunkt – you know …
Hans Moser und ein König mit Zeitverzögerung.
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Was es bedeutet, ein echter König zu sein, verstand ich in meiner frühen Jugend, als ich „Herrn Josefs letzte Liebe“ sah, einen 50er-Jahre-Schwarzweißfilm mit Hans Moser in der Titelrolle, in dem Folgendes geschieht: Der alte Diener Josef verbrachte sein ganzes Leben im Hause der Bankiersfamilie Türkheim und steht jetzt also im Dienste des jungen Herrn Türkheim (Wolf Albach-Retty) und dessen Schwester Gusti (Adrienne Gessner), beide alleinstehend. Herrn Josef läuft ein Hund zu, die verbitterte bösartige Gusti will das Tier nicht im Haus haben und traktiert ihren Bruder so lange, bis er Josef anweist, den Hund wegzugeben. Aber in einer Szene, die mich tief berührte und dabei einen doppelten heißen Verständnisfunken in mir zündete, verlässt Josef die Türkheims. Der Diener Josef verabschiedet sich bei seinem Chef mit dem Satz: „Junger Herr, sie haben mir die Treue gebrochen.“
Erstens wurde mir damals klar, dass jede Geschichte ein Thema braucht, und das Thema dieser Geschichte ist Treue. Heute wissen wir Story Insider natürlich längst, dass genau das es ist, was – ob im Persönlichen, in der Literatur oder für Unternehmen und Marken – mit Story wirklich gemeint ist: ein gemeinsamer Wert, der auf dem Spiel steht und für den wir kämpfen. In diesem Fall ist es Treue, diskutiert und personifiziert im Verhältnisgefüge aus Diener, junger Herr, Hund und Schwester.
Gleichzeitig erkannte ich den Unterschied zwischen König und Herrscher: Der Bruder war – oder wurde dann im Verlauf der Geschichte – ein König, die Schwester blieb eine Herrscherin.
Könige geben Untertanen Würde.
Im Alten Testament heißt es im Buch Genesis „Macht euch die Erde untertan“, was wir Menschen in der uns offenbar angeborenen einzigartigen Mischung aus Blödheit, Gier und Ignoranz in aller Regel als „Beutet die Erde aus, fresst auf, was ihr zwischen die Zähne bekommt, und postet es vorher auf Instagram“ interpretieren und wenigstens in diesem missverstandenen Satz den Anweisungen der Bibel folgen wollen, egal, ob wir sonst daran glauben oder nicht. Das darf man eben alles nicht so eng sehen, gell …
„Macht euch die Erde untertan“ – der Satz aus dem reichen Storyschatz der Bibel bedeutet natürlich: „Mensch, sei König der Erde. Schütze und nütze sie, denn sie ist dir anvertraut.“ Ist das vielleicht sogar ein versteckter Beitrag für das Stehsatz-Arsenal von Unternehmen, in dem man auch nach „Nachhaltigkeit“ nicht lange suchen muss?
Ein Herrscher hält seine Untertanen für nichts mehr als für Objekte, über die er in seinem Kosmos nach Belieben verfügen kann, wie über alles andere auch. Ein König weiß, was Würde ist, und handelt danach. Zum Stichwort „Würde“ hat Professor Gerald Hüther ein wunderbares Buch geschrieben, das ich an dieser Stelle einmal mehr an alle offenen Herzen lege. Wer dieses Buch liest, erfährt und versteht eine Menge über sich selbst und sieht danach vieles, was täglich abläuft, mit hellerem Blick. Zum Beispiel, wie schnell man jemanden, oft unterbewusst, zum Objekt herabwürdigt und wie schnell es mit einem selbst geschieht – gerade auch im Umgang mit Kindern und in der Führung von Teams, als König in seinem Little Kingdom.
Würde ist das, was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft, so Prof. Hüther, und ist somit ganz eng mit den Wurzeln von Story verwachsen. Nicht zuletzt deshalb, weil Story im falsch verstandenen Sinn nach Manipulation stinkt, also nach Unwürde, und uns im richtigen Sinn stark macht und uns Halt und Orientierung gibt – als Einzelne und als Gesellschaft.
In einer respektvollen Kommunikation und einem verantwortungsvollen Umgang mit allem, was Story kann, ist die Würde des Gegenübers eine ganz wesentliche und schützenswerte Dimension. Das gilt ganz besonders in unserer Zeit, in der NLP-Kasperln, Verführer und maulheldenhafte Schlaucherln in ihren Maßanzügen aus Halbseide die politischen Bühnen dieser Welt mit ihren Narrativen, Framings und als Politik getarnten Selbstoptimierungskampagnen erobern. Was diesen Hobby-Anführern fehlt, ist die Empathie eines Königs, Story und, ja: Würde.
König als Führungsarchetyp.
In meinem Werkzeug- und Methodenkasten für Story – in derCharacter-Entwicklung bei meiner Arbeit als Autor genauso wie bei meiner Arbeit als beratender Begleiter für Marken, Unternehmen und Organisationen – arbeite ich stets mit Archetypen-Modellen. Dieses Konzept geht auf die Arbeit des Schweizer Psychologen C. G. Jung zurück, der darüber erstmals 1902 in seiner Dissertation sprach. Der Herrscher ist einer seiner zwölf Archetypen und wird je nach Ausprägung auch in Varianten erlebt wie der König, der Regent, der Botschafter, der Despot oder der Patriarch. Archetypen sind nicht per se positiv oder negativ, verfügen über ein breites Spektrum an Eigenschaften, müssen immer in einem Kontext gesehen und verstanden werden und entwickeln in jeder Story – ob Fiktion oder im realen Leben – eine spezielle Persönlichkeit; sie haben eine Funktion und spielen eine Rolle. Ich habe fast 90 Archetypen-Arten im Werkzeugkasten und kombiniere sie mitunter sogar noch untereinander – z. B. Der Liebende & Der Magier zu Der liebende Magier (Caring Magician) –, weil das in der praktischen Arbeit lebensnahen Facettenreichtum mit viel Unterscheidungspotenzial erlaubt, aber gleichzeitig einen starken, wertegetragenen und -getriebenen Orientierungsrahmen zeichnet.
Wenn ich mit Führungspersonen arbeite – Gründer, CEOs, Human-Resources-Manager, Teamleiter –, wird oft der Herrscher in seiner Variante des Königs/der Königin aus dem Kartenstapel gezogen, bei Familienunternehmen häufig in Form des Patriarchen. Wenn’s dort um die Nachfolge geht, wird’s mitunter knifflig, wie du dir vorstellen kannst.
Könige führen mit Story.
Und übrigens: Könige im positiv verstandenen Sinn sind keineswegs schwache, passive Persönlichkeiten, im Gegenteil: Es braucht viel mehr Kraft, Menschen zu heben als sie umzuwerfen. Aufbau gelingt nicht jedem, Zerstörung kann jeder Idiot.
König Artus ist eine in diesem Zusammenhang oft zitierte Figur. Der Ursprung der Legende des mythischen Königs taucht bereits 500 nach Christus auf und wird oft verbunden mit dem Zauberer Merlin als seine facettenreiche Mentoren-Figur, mit dem Schloss Camelot als Metapher für die paradiesische heile Welt und mit der dort etablierten Tafelrunde als Symbol für den Kreis der Gerechten, mit der Quelle der Glückseligkeit und ewiger Jugend, den Heiligen Gral inmitten. Camelot – ein paradiesischer, heiler Ort in einer chaotischen Welt, der in der jüngeren Geschichte immer wieder mit den zahlreichen Legenden, die das Weiße Haus in der Präsidentschaft von John F. Kennedy umranken, in Zusammenhang gebracht wird.
Was Führungspersönlichkeiten brauchen – egal ob König, Schöpfer, Magier, Professor, Krieger oder sonst einer –, ist eine starke Story, also ein Wertegefüge, für das andere begeistert werden können und so alle gemeinsam an einem prosperierenden Königreich bauen. Camelot ist überall.
Das gilt in besonderem Maß für die vielen Menschen, die zum Sprung in die Selbstständigkeit ansetzen. Gründer, Start-ups und die Einhörner der Zukunft wissen, worauf es bei einem Businessplan ankommt: Zahlen, Daten, Fakten. Das ist gut und richtig, führt aber nur scheinbar zum Erfolg. Was nämlich Unternehmen wirklich stark macht, und zwar von Anfang an, ist ihre magnetische Story, die Kraft ihrer Marke. Nach innen, nach außen, für Investoren und Kunden gleichermaßen. Es geht um den Gründungstraum.
Es gibt übrigens einen Typen, der hat darüber ein kleines Anstifter-Buch für große Träume und noch größere Taten geschrieben. Es heißt: „Dann unternimm doch was. – Dein Traum. Dein Unternehmen. Deine Story.“ Hier kann man es bekommen.
Egal ob fürs Königreich in Gründung, ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen oder heldenhafte Einzelkämpfer als EPU/Einpersonenunternehmen – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat und braucht starke Anführer, mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. Wenn du keinen magnetischen Wert als lebendiges Thema hast, bleiben dir nur noch zwei Führungsmethoden: Gehaltserhöhung und Befehlsausgabe – Zuckerbrot und Peitsche. Und damit ist Zukunft nur ein anderes Wort für Niederlage.
Allen, die also sagen: „Für mich, meine Marke oder mein Unternehmen gilt das nicht!“ seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, heimlich in den Tisch an ihrem Platz in König Artus’ Tafelrunde ritzte: „No Story. No Glory.“