Wann hat Apple aufgehört eine Marke zu sein?

Das ist ein Nachruf. Ich hoffe, er ist nicht nur zu früh, sondern auch noch falsch. Allerdings fürchte ich, er ist nur zu früh. Kurz gesagt: Apple, das war’s also.

Ich bin ein Apple-Jünger der ersten Stunde, habe nie andere Computer benutzt und weigere mich bis heute standhaft. Auch, wenn meine Gegenwehr schwächer wird. Mein abnehmender Widerstand hat viele Gründe technischen Ursprungs und irgendwann unterm Strich damit zu tun, dass ich halt nur dann bereit bin, für schlechtere Produkte gleich viel – oder deutlich mehr – zu bezahlen als für bessere Produkte der Konkurrenz, wenn diese Teile geil sind. Geil sind Produkte dann, wenn sie Bedeutung haben. Bedeutung hatte Apple mal. Gone are the days.

Wir gegen die anderen.

Manche von uns werden sich noch daran erinnern, was man als Mac-User in Sachen Kompatibilität und Service erlitt. Damals in den 80ern, als sich IBM, HP, Microsoft & Co. das Match untereinander ausmachten. Wir waren nicht nur Exoten, wir waren in den Augen der anderen Idioten. Und wir waren es mit stolz.

Der legendäre Werbespot 1984 zur Einführung des Macintosh brachte es nämlich auf den Punkt: Wir waren die Guten.

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Mehr muss man dazu auch gar nicht sagen. Hier sind wir, die Macintosh-User. Eine kleine Gruppe Gerechter, die für die Befreiung aus der Knechtschaft des alles dominierenden Big Brother IBM kämpft. Die aufständischen Guten rebellieren gegen die herrschende Macht der Elite.

„Wir gegen die Anderen! Wir, die Guten und Reinen gegen die bösen Eliten!” – Eine Gruppe wird besonders stark, wenn sie einen gemeinsamen Feind hat. Am besten einen, dem man mit eigener moralischer Überlegenheit begegnen kann. Da kann man gleichzeitig für etwas sein, aber auch gegen etwas. Und schon brummt einer der kraftvollsten Story-Motoren überhaupt, denn er wird von Emotion getrieben – und leider deshalb auch von Demagogen rund um den Globus meisterlich genutzt.

Dass der 1984-Spot von der Fast-noch-Garagen-Company um ein Vermögen produziert, vom damals angesagtesten Hollywood Regisseur Ridley Scott inszeniert und um den üblichen abartigen Preis bei der Super Bowl geschalten wurde, war alles andere als selbstverständlich. Aber es war selbstverständlich geil. Das ist Brand Experience. Das ist Rock’n’Roll, Baby, und zwar live – auch wenn du nicht dabei bist!

Das Zeug war sauteuer und in unseren Breiten auch noch schwer zu bekommen. Die Namen von Servicetechnikern, die sich wenigstens halbwegs auskannten, wurden unter uns Apple-Opfern weitergegeben wie die Telefonnummer von Anna Bolika unter Bodybuildern.

Alles wird gut.

Dann drängten sie in Cupertino Steve Jobs raus, aber wir blieben treu. Wir blieben treu, auch wenn die Macs und ihre Software teilweise so schlecht funktionierten, dass nicht einmal unsere Werbetexter-Phantasie für den richtigen Begriff reichte. Wir schrieben viel mit der Hand.

Ich habe noch in lebhafter Erinnerung, wie mich ein Mitarbeiter mit massivem Körpereinsatz daran hinderte, mein Powerbook aus dem Fenster meines Wiener Büros auf die herbstliche Reisnerstrasse zu werfen. Auch irgendwie Rock’n’Roll.

Die Apple-Kommunikation in dieser Zeit bestand hauptsächlich aus besonders gut geschriebenen Anzeigen über Produkte und ihre Features. Alles in allem etwas für echte Individualisten, die schlauer waren als die anderen, creativer, unabhängiger. Wir liebten die Anzeigen, wir liebten unsere Macs, und irgendwann liebten sie uns zurück. Denn eines Tages stand Steve Jobs wieder am Steuerrad, und alles wurde gut.

Endlich waren die Macs wieder geil. Aber wie!

Gestatten: Wir sind die Verrückten!

Im Juni 1998 wurde ich als Juror zu den Cannes Lions eingeladen. Recht viel näher konntest du damals nicht an den interessantesten Werbekampagnen der Welt sitzen, denn Google ging ja erst ein paar Monate später ans Netz. Umso mehr begeisterte mich die dort frisch entdeckte „Think different”-Kampagne von Apple.

Das war für mich gleichsam ein weiteres Erweckungserlebnis zum Thema Brandstory. Du siehst ein Bild, ein Logo und einen Claim und stehst inmitten einer neuen Welt, die sich in deinem Kopf und vor allem in deinem Herzen wie von selbst erschafft.

Und der Film dazu! Das Manifest einer Generation von jungen Menschen jeden Alters, die eines gemeinsam hatten: Sie waren so verrückt zu glauben, die Welt verändern zu können und würden folglich auch genau jene sein, die es tun. Das waren wir! Die Crazy Ones: John & Yoko, Buckminster Fuller, die Callas, Jim Henson, Amelia Earhart … und Muhammad Ali sowieso.

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Wenn du an deiner Brandstory arbeitest, dann modelliere unbedingt dieses Prinzip. Egal, ob du Solopreneur bist oder eine Mega-Marke führst, ob du B2B oder B2C kommunizierst. Selbst dann, wenn du es nie mit Filmen, Anzeigen oder anderen breiten Maßnahmen an die Öffentlichkeit bringst, sondern vielleicht nur intern nützt.

  1. Finde ein starkes Motto, dein Mission-Statement – Think different. Dieses Motto, der Schlachtruf, leitet dein Handeln an und kann dann der Claim für deine Marke werden, muss aber nicht unbedingt sein. Jedenfalls muss das Motto T-Shirt-fähig sein, also einen Team-Spirit proklamieren, den jeder mit Stolz auf der Brust trägt.
  2. Definiere deine Gegner, die so genannten antagonistischen Kräfte. Gemeinsame Gegner formieren und stärken den Spirit. Das kann natürlich die Konkurrenz sein, aber auch virtuelle Gegner wie Angst, Fadesse oder schlechte Qualität. Bei der Think different-Kampagne sind es die engstirnigen, uninspirierten Angepassten.
  3. Wer bist du, wer seid ihr, die verschworene Gruppe? – Wir sind die Crazy Ones, die die Welt verändern …
  4. Schreib ein Manifest, die Botschaft deiner Marke an die Welt. Das ist der Text aus dem TV-Spot.

Gestalte Poster, lass Videos damit schneiden, mach dir einen Lockscreen fürs Smartphone – oder schreib’s ganz einfach nur in dein Notizbuch, aber schreib’s auf, und nicht mit dem PC! Herz – Hirn – Herz – Hand – Stift – Papier. Das sind substanziell wichtige und enorm wirkungsstarke, magische Tools.

Apple

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Das sind zwei weitere Beispiele für Manifestos.

 

Was ist von dieser außergewöhnlichen Apple-Brandstory übergeblieben? Weniger als nichts. Die Präsentation des iPhone 8 und des X war ein Offenbarungseid des Niedergangs eines charismatischen Unternehmens.

Ich will hier nicht über die neuen Features sprechen, die ich zugegeben teilweise für cool halte, aber das war’s dann auch schon. Die Ansage, das iPhone X werde die Welt in den nächsten zehn Jahren so verändern, wie es das iPhone selbst in den verwichenen zehn Jahren tat, halte ich selbst für die nach oben offene amerikanische Euphorie-Skala, die erfahrungsgemäß bei awesome beginnt, für ein wenig dick aufgetragen.

Steve! Wo steckst du?!?

Was aber viel schlimmer ist, war die Präsentation selbst. Menschen mit dem Charisma eines durchgebrannten Motherboards präsentieren technische Features mit einer Begeisterung als hätten sie im unmittelbaren Familienkreis einen Todesfall erlebt. Was im Prinzip auch stimmt, denn Steve Jobs ist fort, definitiv. Aber diesmal wird er nicht zurückkommen, da führt kein Weg dran vorbei. Und ich sage das als einer, der in seiner Schallplattensammlung nach den Elvis Presley-LPs vorsichtshalber ein wenig Platz frei gelassen hat.

Apple

Erinnerst du dich noch an die legendären Präsentationen von Steve Jobs? Während sich die Nerds bei Microsoft mit dem Aufzählen von Downloadraten, Megaherz und Prozessorleistungen eine Erektion anpräsentierten und ihr Publikum ins Wachkoma versetzten, zog Steve Jobs den ersten iPod aus der Hosentasche: „1.000 Songs in Your Pocket …” Das ist Storytelling.

Oder die Präsentation des ersten iPhones. Passion, Dramaturgie und jedes technische Feature mit einem großen Why genährt und vom guten Geist Think different getragen.

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Gibt es unter den 12.000 Leuten im Apple Campus niemanden, der eine erträgliche Präsentation auf die Beine stellen und abliefern kann? Gibt es dort niemanden, der sich endlich einmal wieder mit der Marke beschäftigt, anstatt andauernd letztlich belanglose Produktwerbung zu machen? Fällt Siri dazu auch nichts ein?

Die Zeiten, in denen Apple mit Produkten die Nase wirklich vorne hat, die sind offenbar vorbei. Die Bedeutung der Marke und die Beziehung mit ihren Kunden – in diesem Fall: mit ihren Jüngern – verschwinden. Sie waren in den letzten Jahren ja schon zu seinen Lebzeiten sowieso nur noch durch Steve Jobs zu spüren. Selbst wenn der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens nach wie vor gigantisch ist, markentechnisch brennt die Tapete!

Produkte + Logo + Brand Assets + Werbung ist nämlich noch lange keine Marke, auch wenn das die meisten als Marke bezeichnen. Erst wenn eine starke Brandstory dazu kommt ist alles da, was nötig ist.

Think different könnte nach wie vor als Brandstory perfekt arbeiten und im Themen- und Content-Marketing Apple zu den Chefideologen der Generationen Y, Z, Why & Global machen, dass den anderen die Fetzen um die Ohren fliegen. Einer aus dieser Generation ist Casey Neistat.

Der Rest von uns.

Casey ist einer dieser Typen, die YouTube zu dem machen, was es bald endgültig sein wird, nämlich eines der wichtigsten Medien unserer Zeit. Neistat produziert einen Vlog über sich und alles andere auch, was ihn bewegt, und was das Leben so an die Küste eines 35-jährigen creativen Menschen spült. Das interessiert nicht nur ihn, sondern offenbar auch eine Menge anderer Leute, denn er hat knapp acht Millionen Abonnenten auf YouTube, und seine Videos kommen dann auch einmal auf 44 Millionen Aufrufe, wenn’s sein muss. Und so verdient er dank seiner Creativität und seiner Reichweite eine Menge Geld als Influencer, unter anderem von Samsung. Das Unternehmen beauftragte ihn mit der Produktion eines Commercials für die Ausstrahlung der Oscar®-Verleihung 2017 und zeigt damit vor, wie genau eine Marke ihrem Publikum aus dem Herzen sprechen und sich so präzise im Herzen der Gemeinde verwurzeln kann. Wow!

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Casey spricht für „The Rest of Us”, die Generation, die nicht immer ganz nachvollziehbar und auch nicht immer wahnsinnig sinnvoll eine Lawine an Content produziert, und dabei oft großartige Dinge erschafft. Das Web ist prallvoll mit diesen großen und kleinen Werken creativer Menschen.

Casey Neistat adressiert in der Story diese Gruppe sehr geschickt und unausgesprochen als die gute Gruppe der edlen, moralisch Überlegenen, weil sie eben keine unanständig riesigen Hollywood-Budgets und superprofessionelles Equipment braucht, sondern nur ein Handy, Klebeband und lustvoll schöpferischen Drang, damit steiler Content geboren wird. Wir vielen kleinen Guten, gegen die anderen, die Elitären. Kommt dir diese Story bekannt vor? Kein Wunder, es ist das Story-Modell, das Apple 1984 einsetzte.

Das sind ganz starke Werte, die beim Publikum angestossen werden, das ist Storysharing in bester Form. Besonders dann, wenn Casey am Ende sagt: „Wenn wir hören, das kannst Du nicht, haben wir eine passende Antwort: Na, dann schau mir mal zu …” – Also die upgedatete Version von „The people who are crazy enough to think they can change the world are the ones who do.” Wir, die schöpferischen Menschen – das hat schon auch einiges mit dem unterbewussten archaischen Spüren der eigenen, göttlichen Kraft zu tun. – Ja, am Ende gewinnen wir, die Guten!

Do what you can’t.

Und dann kommt’s noch einmal so richtig richtig: „Do what you can’t.” Samsung und die User gemeinsam zeigen es allen anderen. Against all odds! – Das ist die perfekt gebaute Heldengeschichte: Normaler Mensch (User) steht auf dem Weg zur Erfüllung (geilen Videocontent machen) vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen (die Macht der Anderen), vor allem aber vor seinen inneren Hindernissen (Selbstzweifel), wird vom Mentor (Samsung) motiviert, zieht allen Zweiflern zum Trotz das Schwert Excalibur (Samsung Galaxy) aus dem Stein und steht als strahlender Held da.

Und somit entsteht eine Heldengeschichte, die sofort auch jene einfängt, die nicht unbedingt YouTube, Instagram und Snapchat mit Meisterwerken anfüllen, sondern ganz einfach dazu gehören wollen zu dieser besonderen Gruppe der Auserwählten. – Genau so geht das!

Schade, dass im Backend, zum Beispiel auf der Website, praktisch nichts zu finden ist, was die Brandstory jenseits von Werbung stützt. Da liegt noch enormes Potenzial völlig ungenützt, und erst das würde die Story tatsächlich zu einer wirkungsvollen, weil erlebbaren Brandstory ausbauen, ja zu einem Movement machen können. Denn dann würde intensivste Brand Experience entstehen. Dann passiert das, was man heute machen muss. Nichts leistet das und besser als professionell entwickeltes und perfekt umgesetztes Content Marketing.

Wenn eine Brandstory durch Werte beseelt ist, die eine Sehnsucht beim Publikum berühren, dann entsteht eine Storyworld in der sich Marke und Publikum begegnen und interagieren. Dort gewinnst du kostbare Time with Brand und dann ist ein wirklich starkes Band geflochten.

Für alle, die sagen: „Bei meiner Marke geht das nicht!” habe ich eine passende Antwort: „Do what you can’t”, bevor dein Konkurrent sagt: „Watch me …” – Oder, wie meine Großmutter, die alte Story Dudette, sagen würde: „One more thing, liebe Kinder: „No Story. No Glory.”

 

 

Bildhinweise:
Titelbild: Who am I? von Ahmad Hammoud | Flickr | Lizenz
Holstee Manifesto: Holstee
Cult of Done von Joshua Rothhaas | Flickr | Lizenz
Screenshot: Apple Keynote, Sept. 2017

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