Wir beiden Story Insider sind uns ja sowieso in vielem einig, ganz besonders allerdings im Verständnis, dass Story bedeutend mehr ist, als gut erzählte Geschichten und schon gar nicht auf Marketingkommunikation beschränkt bleiben darf.
Story ist ein universelles Phänomen, das uns über alle sozialen, demographischen, kulturellen und sonstigen Grenzen hinweg verbindet.
Die Fähigkeit, Geschichten zu teilen, ist eine Gabe, die uns Menschen in nahezu allen Bereichen unseres Lebens unersetzliche Dienste erweist. In der Vermittlung von Werten und der Organisation unserer Gesellschaft, in der Weitergabe von Information und Wissen, in der Führung von Menschen, in der Gestaltung unseres eigenen Lebens und unserem Bild von der Welt – wie sie sein soll und wie wir sie uns erschaffen können. Im Gespräch mit unserem inneren Selbst, im Gespräch miteinander, im öffentlichen Gespräch – Story ist unser Werkzeug, das wir niemals aus der Hand legen. Sogar wenn wir schlafen bauen wir unsere Storys weiter, denn was sind denn Träume anderes als oft verwirrende und verstörende Geschichten, in denen wir unser Leben weiterspinnen und aus denen wir uns im besten Fall etwas erklären können?
Es gibt niemand, der Story nicht braucht.
Es gibt niemand, der Story nicht kann. Oder könnte …
Das Verständnis dieses Phänomens nützt jedem, auch wenn man es möglicherweise gar nicht im Sinne eines Werkzeuges bewusst und gezielt einsetzt. Macht nix.
Aber allen, die Konzepte schreiben, Texte verfassen, Bildwelten erschaffen, andere überzeugen, Reden halten, präsentieren, Menschen führen, verkaufen wollen (wollen wir das nicht alle immer irgendwie?) denen hilft ein bewusster Umgang mit Story abseits des Buzzword-Gurgelns fundamental. Bewusst bedeutet respektvoll und achtsam. Wir wollen nicht manipulieren, verführen, vertuschen. Auch das geht mit Story, doch es geht auch ins Auge. Meistens früher als man denkt. Gut!
Das Prinzip Story ist so simpel wie das Leben.
Das Prinzip Story anzuwenden ist allerdings komplex. Wie das Leben.
Wer jemals vor einem leeren Blatt Papier saß, oder ein File öffnete, weil jetzt was geschrieben wird, der weiß, was dann oft passiert: Nichts.
Im Gegenteil: Bis man sich einmal vor ein leeres Blatt Papier setzt oder ein File am PC öffnet – bis dahin passiert ja schon lange nichts.
Genau genommen passiert schon was: Man räumt die Bibliothek um, löscht alte Files, sortiert Mails aus, sortiert die DVDs nach Farben, die CDs nach Genres und die LPs nach Formen, checkt dringende Neuigkeiten auf Spotify, macht sogar noch die Buchhaltung ein bisserl, dann wird im Web recherchiert, weil anständige Vorbereitung für das große, perfekte Ergebnis unabdingbar ist und dann … – Wahnsinn, wie schnell doch so ein Tag vergeht, was?
Gelehrte Menschen nennen diesen Kampf Prokrastination und erklären uns genau, warum das so ist.
Ein weiser Mann namens Steven Pressfield erklärt uns diesen Kampf genau und sagt uns, wie wir ihn gewinnen können, diesen War of Art.
Damit sind wir am Beginn meiner sommerlichen Lesebefehle. Wir wollen ja erholt aus dem Urlaub wieder auftauchen, und nachdem wir Menschen bekanntlich in Körpern wohnen, aber an unserer Seele angewachsen sind, wissen wir auch, wo geglückte Erholung ansetzt. Lass uns also ein paar herzerfrischende Bücher lesen, eben von Steven Pressfield, dem Story Insider der frühen Tage immer wieder begegnet sind.
Steven Pressfield ist US-amerikanischer Autor vieler Bücher, Romane und Sachbücher, unter anderem der Romanvorlage für Jeremy Levens Drehbuch „Die Legende von Bagger Vance”, das Robert Redford als Regisseur mit Will Smith, Mat Damon und Charlize Theron und anderen verfilmte. Pressfield hatte sehr spät Erfolg, kämpfte Jahrzehnte um seinen Durchbruch und beschäftigt sich intensiv mit dem Phänomen des kreativen Schaffens. Mittlerweile sind sechs Bücher zusammengekommen, die das Thema aus unterschiedlichen Winkeln anleuchten.
Damit steht das perfekte Lesepaket für den Urlaub bereit. Die Lektüre ist nicht schwer. Auch die Bücher selbst sind leicht, passen in jede Badetasche, und falls Du beim Lesen einschläfst und das Ding fällt dir auf den Kopf, fließt kein Blut. Aber die Einschlafgefahr besteht sowieso nicht. Jedes dieser Bücher wirst du verschlingen, selbst wenn du mittags kurz vorm Tiramisu und kurz nach der Caprese eine ganze Pizza verdrückt und ihre Ankunft bereits mit der zweiten Flasche Pinot Grigio begrüßt hast.
Ein paar einleitende Hinweise:
- Steven Pressfield ist professioneller Autor und schreibt naturgemäß aus dieser Perspektive und aus tiefster eigener, oft leidvoller, quälender Erfahrung.
- Die allermeisten seiner Gedanken gelten für jeden Menschen, der schöpferisch tätig ist, und du wirst sie auch ohne Komplikationen genauso verstehen. So ist es auch von Pressfield gemeint.
- Schöpferische Arbeit beschränkt sich keinesfalls auf künstlerisches Tun oder kreatives Arbeiten im engeren Sinn.
- Es gibt ausführliche Betrachtungen, in welcher Reihenfolge man sich die Star Wars–Filme binge-halber ansehen soll. Bei unserem Sommerfrische-Lesepaket gibt es hingegen keinen religiösen Ritus. Ich empfehle die Reihenfolge wie sie hier erscheinen, jedenfalls die ersten drei solltest du genauso lesen, dann hast du am meisten davon.
- Lies die Bücher gleich zweimal hintereinander.
- Hab viel Vergnügen und empfiehl alles weiter, was dich erfreut.
The War of Art
Dieses Buch habe ich bereits mehrfach empfohlen und mache es der Vollständigkeit halber hier wieder. Es ist das Basiswerk. Es hat mir die Augen und das Herz geöffnet. Ich hab mich plötzlich selbst verstanden. (Sonst tut das ja kaum jemand …) In The War of Art geht es kurz gesagt um Prokrastination, warum wir gerade die Dinge, die uns am meisten am Herzen liegen, ständig aufschieben bis es unter Umständen zu spät ist und darum, wie wir das in den Griff bekommen können.
Turning Pro
Wenn du vom Amateur zum Profi werden willst, dann brauchst du nicht unbedingt einen zusätzlichen Kurs in deiner Sache, sondern vor allem einen neuen Kurs in der Einstellung zu deinem Schaffen und dir selbst. Wenn wir Profis werden, dann verändert sich unser Leben. So einfach ist das, und so schwierig, denn wir verlassen das gewohnte Feld der Bequemlichkeit und machen uns auf eine Reise, die man durchaus als Odyssee bezeichnen darf.Turning Pro ist ein wunderbarer Kompass …
Do the Work
Dieses Buch setzt dort an, wo Turning Pro aufhört und ist sowas wie ein Umsetzungsplan, Anfeuerungs-Ruf und Mutmacher-Dosis, damit du deine Arbeit machst. Deine Arbeit, also das, wofür du da bist auf dieser Welt. Und was das ist, weißt du sowieso, nach der Lektüre der ersten beiden Büchlein gibst du’s auch zu …
Nobody Wants to Read Your Shit
Der Titel ist Programm. Auch dieses Buch habe ich bereits mehrfach empfohlen und es ist auch jenen dienlich, die fern aller Prokrastinations-Attacken durchs Leben gehen. Ich kenn zwar niemanden, der das tut, aber angeblich gibt’s jemanden.
Ob du als Industrielyriker mit deinem Angstschweiß Texte schreibst, damit die Joghurts, Versicherungen und T-Shirts deiner Klienten fette Umsätze einfahren, ob du dir Drehbücher, Romane oder Reportagen aus dem Herz reißt, damit die Kassen klingeln, ob du dir Konzepte & Strategien ausdenkst, einen Blog aufstellst, ein politisches Programm in die Welt trägst, deine Kinder zum Lernen bewegen oder deine Mitarbeiter für die Digitalisierung begeistern willst, ob du einen Startup-Pitch bei Investoren oder ein Plädoyer vor Gericht hinlegst: Niemand interessiert sich für deinen Scheiß. Glaube mir.
Und wenn du mir nicht glaubst, dann glaube wenigstens Steven Pressfield: „Ein echter Autor (oder Künstler, oder Unternehmer) hat etwas zu geben. Er hat lange genug gelebt und genug gelitten und lange über seine Erfahrungen nachgedacht, damit er es in etwas verwandeln kann, dass für andere wertvoll ist, und sei es nur zur Unterhaltung. Ein Fake-Autor (oder Künstler, oder Unternehmer) will nur Aufmerksamkeit auf sich selbst lenken. Vielleicht ist das Wort „fake” etwas hart. Sagen wir „jung” oder „in Entwicklung”.”
Wie du damit gut umgehst steht in Nobody want’s to read your shit mit einer Menge anwendbarer Erkenntnis darüber, worauf es bei guten Storys ankommt.
Running Down a Dream
Dieses Buch stammt nicht von Steven Pressfield, sondern von Tim Grahl, aber Pressfield schreibt über Running Down a Dream: „Tim Grahl ist mein geheimer Guru für genau das, wovon Running Down a Dream handelt. Tims Buch ist der Werkzeugkasten fürThe War of Art …” Noch Fragen?
The Artist’s Journey
Wenn du bei diesem Titel an die Hero’s Journey, an das Konzept der Heldenreise von Jospeh Campbell, denkst, dann ist schon alles gesagt, worum es in diesem eben erst erschienen Buch von Steven Pressfield geht. Die Heldenreise als Ausgangspunkt und Modell für den Weg der Künstler, der schöpferischen Menschen, also der Gestalter der eigenen Lebensgeschichte. Ein Buch für und über uns alle. „Du bist ein Künstler – ob du es verstehst oder nicht, ob es dir passt oder nicht – und du hast eine Artist‘s Journey …”, schreibt Steven Pressfield.
Ach ja, noch eine Frage, die mir oft gestellt wird:
„Warum verlinkst du immer auf die englischen Ausgaben?” – Die Wahrheit ist, ich verlinke, wenn das Buch auf Englisch geschrieben wurde, auf das Original, weil eben original. Einige Bücher sind auch in anderen Sprachen erhältlich, bei Bedarf bitte einfach weiterklicken, oder die Auskunftsfreude im lokalen Buchhandel erregen. In diesem Fall gibt es die Bücher nur auf Englisch, sie sind aber unkompliziert zu verstehen, keine Sorge.
Die Links zu Amazon sind übrigens als Service zum Weiterschnüffeln gedacht und dafür, falls du sofort deinen Kindle füttern willst. Jeder stationäre Buchhändler freut sich über einen Einkauf und besorgt jedes Buch im Handumdrehen – mitunter wird die Hand halt zwei- oder dreimal umgedreht … Die Belohnung dafür: Bei einem Besuch in der Buchhandlung gibt es immer wieder vieles zu entdecken, und auch ich freue mich über einschlägige Tipps – nicht nur aus der Sach- & Fachbuch-Ecke.
Und über das Lesen fällt mir noch was Wichtiges ein. Ich bin in den letzten Monaten wieder ausschließlich ins Lager der Printausgaben-Leser gewechselt, obwohl ich gerade bei Fachbüchern Evangelist des eBooks war, weil eben das Markieren und Exzerpieren, wenn auch mit kleinem Workaround, sehr einfach geht, man jedes Buch im Nu verfügbar hat und ständig in der Tasche, ohne Schlepperei. Allerdings stelle ich fest, dass ich anders – intensiver – lese, wenn ich ein gedrucktes Buch in der Hand habe. Und ich markiere, notiere und inhaliere besser. Vielleicht ist das eine Frage des Alters, aber mal sehen: vielleicht bin ich irgendwann alt genug fürs eBook-Dasein …
Ach ja, noch was – über das Schreiben.
Vor einiger Zeit habe ich mal den Satz gelesen: „Menschen, die schreiben, tun das nicht um anderen die Welt zu erklären, sondern um sich selbst die Welt zu erklären.” Ich kann das aus meiner Erfahrung restlos bestätigen. Deshalb funktioniert schreiben als Denkwerkzeug auch dann, wenn man das Geschriebene nicht veröffentlicht, und ich kann es als Kulturtechnik mit freundschaftlichem Nachdruck besonders empfehlen. Aber auch hier unbedingt mit der Hand schreiben: Papier + Bleistift, Füllfeder oder Gelroller. So geht das.
Eine durchaus interessante Alternative scheint das reMarkable-Tablet zu sein. Ich wurde kürzlich damit in Geschenksform erfreut und bin ehrlich beeindruckt. Unter anderem auch deshalb, weil ich vermute, dass Menschen, die so smart sind, dieses Produkt zu entwickeln, mindestens tausend Ideen mehr haben als ich, was die nächsten Updates der Software leisten könnten.
Was auch immer wir lesen – was auch immer wir schreiben, auf und mit welchem Medium auch immer, meine Großmutter, die alte Story Dudette, steht mit gespitztem Bleistift und gespitzten Ohren mit ihrer Leseratte an der Leine im Geiste neben uns und flüstert uns zu: „No Story! No Glory!”