Jetzt beginnt also wieder ein neues Jahr. Nein, mein Kalender ist nicht auf Speed. Aber bei mir hat sich vor vielen Lenzen eingeprägt: mein neues Arbeitsjahr beginnt (so das vorige denn überhaupt geendet hat) wie das Schuljahr: im September.
Das kann ich zur Nachahmung sehr empfehlen, schon zweier entscheidender Vorteile wegen:
1. Wenn die andern dann im Jänner beginnen, bist du ihnen bereits vier Monate voraus.
2. Du kannst Silvester auslassen, denn, um bei Harald Juhnke zu borgen: „Ich hasse Silvester, da saufen auch die Amateure.”
Meine Neujahrsgeschichte beginnt somit hochoffiziell hier und jetzt. Prosit!
ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU:
Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!
Selbstverständlich gibt’s auch zum verschobenen Neujahr eine Reihe von Vorsätzen, wie weiland zu Schulbeginn. Damals nahm ich mir rituell und regelmäßig vor, meine Hausübungen stets rechtzeitig und vor allem selbst zu verfassen. Der erste Teil des Vorsatzes wurde ab Mitte Oktober undurchführbar, der zweite aller spätestens Anfang Februar. Ich hatte einfach zu viele andere Aufgaben zu erledigen: lesen, Gitarre spielen, ein bissel was schreiben und zu alledem galt für mich, als Apologeten der schwedischen Philosophin Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf: „Faul sein ist wunderschön! Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ Höhere Gewalt nennt man sowas. So zischten mir die Tage, die auch bei mir nur 24 Stunden hatten, zwischen meinen Fingern hindurch, in Höllentempo an mir vorbei und schwupps stand schon wieder der Termin für die Nachprüfung im Kalender.
Die Hausübungen wurden – was hätte ich anderes tun sollen – des Morgens, gleichermaßen schnell wie eifrig, in der Schulgarderobe zwar von mir selbst geschrieben, inhaltlich stützten sie sich jedoch vollends auf das Oeuvre der Mitschüler. Vorsprung durch Technik, quasi.
Die Geschichte, die ich mir dazu selbst erzählte, war, dass ich so die jahrhundertealte Tradition der Skriptorien in die 1970er Jahre hinüberrettete. Schließlich besuchte ich eine Klosterschule. Meine Kunstfertigkeit in Sachen Vervielfältigung war dank dieser ausdauernden Praxis schließlich dermaßen hoch entwickelt, dass mich nach – zu Verwunderung aller Lehrer – zeitgerecht abgelegter Reifeprüfung ein schmeichelhaft saftig dotiertes Angebot der Firma Rank Xerox erreichte. Die guten Leute des damals innovativsten Unternehmens der Welt, wollten mir ihr Firmenschild draufschrauben und mich rund um den Globus als Hochleistungskopierer vermieten. Ich hatte allerdings andere berufliche Pläne.
Aus keinem derer ist was geworden, oder doch aus jedem ein kleines Bissel was, wenn ich’s mir so überlege. Schauspieler wollte ich werden. Oder Arzt. Oder Schriftsteller, Journalist wenigstens. Und, ja, kein Witz: Lehrer.
Ach, Lehrer! Und die Witze über sie! Zum Beispiel: Als Lehrer führst du das perfekte Leben – am Vormittag hast du recht und am Nachmittag frei. Nein, Witzfigur wollte ich dann doch nicht als Lebensleistung vorweisen. Obwohl ich durchaus Lehrer hatte, die mich im besten Sinne prägten. Sie brachten mir zwar inhaltlich wenig bei, als beeindruckende, vorbildliche Menschen allerdings einiges, von dem ich bis heute zehre. Danke euch dafür!
Lehrer? Bloß nicht …!
Ich frage mich: was sagt uns das, wenn die Lehrer in einer Gesellschaft unwidersprochen zur Gruppe der anerkannten Witzfiguren gehören? Zweifellos haben zwar viele von ihnen ihr Leben mit unerbittlichem Bestemm dem Nähren dieses Narratives geweiht, dennoch: sagt der Umstand, dass es überhaupt soweit kommen konnte, nicht viel mehr über unsere Gesellschaft aus, als über die Lehrer selbst? Ist es dann ein Wunder, dass in Zeiten des pandemischen Lockdowns Tabaktrafiken als systemrelevante Versorger geöffnet blieben, Bibliotheken hingegen geschlossen?
„Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe“, klagte bereits Wilhelm Busch, der im vierten Streich, den Max und Moritz dem Lehrer Lämpel spielten, folgendes wusste:
Also lautet ein Beschluss:
Dass der Mensch was lernen muss.
Nicht allein das Abc
Bringt den Menschen in die Höh’,
Nicht allein im Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen;
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muß man mit Vergnügen hören.
Eben davon handelt die zweite verkehrte Geschichte, die sich hartnäckig in unseren kollektiven Erzählungen festbeißt: Lehrer sind Wissensvermittler. Ja klar, schon auch. Aber zumal heute, wenn der allergrößte Teil der Kinder und Jugendlichen kaum noch von den eigenen Eltern ins Leben geleitet wird, sondern von Kindergarten-Betreuer:innen, Horterzieher:innen und eben Lehrer:innen, geht’s doch nicht um Wissensvermittlung, sondern um Transformationsbegleitung, oder? Woher erfahren wir denn sonst, worum’s im Leben gehen könnte?
Meine Tante Edda war Volksschullehrerin. Mit großer Leidenschaft kämpfte sie sich, neben ihrem fordernden Job in einer Bank, über Jahre in der Abendschule, in diesen Beruf hinein und übte ihn dann über lange Zeit mit heißem Herzen aus. Wann immer sie mir jetzt über aktuelle Zufallsbegegnungen mit ehemaligen, mittlerweile grauhaarigen Schüler:innen berichtet, kommt dabei niemals vor: „Frau Lehrerin, ohne Sie hätte ich niemals Schreiben, Lesen oder Rechnungssachen gelernt und wüsste bis heute nicht, wie die Hauptstadt vom Taka-Tuka-Land heißt“, sondern es geht um lebensgestaltende Erinnerungen im Sinne von: „Wenn Sie nicht gewesen wären, wäre aus mir nichts geworden. Sie sind die Einzige, die trotz allem an mich geglaubt und mich gefördert hat.”
Oder der Herr Schröder. Der ehemalige Gymnasiallehrer Johannes Schröder – heute Kabarettist zum Thema Lehrer & Schule – eilte in diesem Sommer mit artgerechtem Overheadprojektor und Kamerateam ausgestattet die Badestrände von Malle entlang. Dort lud er Vertreter der Generation Bildungskrise ein, ihren ehemaligen Lehrern via Instagram eine Videobotschaft zu schicken. Tenor: siehe oben.
Die äußere Geschichte über Lehrer:innen handelt zweifellos von Wissen und Ausbildung. Von allem also, was man nachlesen, googeln oder sonstwo ergattern kann. Die innere, die lebenswichtige, die durch nichts (nichtmal durch AI) ersetzbare, Geschichte hingegen erzählt über die liebevoll führende Begleitung von Menschen durch ihren substanziell prägenden Lebensabschnitt der mannigfaltigen Verwandlungen in ihr möglichst gelungenes Selbst. Über das Sortieren und Erhellen. Und über das Verstehenmachen, dass erst dann das echte Wachstum beginnt, nämlich jenes über sich selbst hinaus – über sein Selbst hinaus – hinein in ein großes Ganzes, das wir alle sind. Jenseits von dem, was man gemeinhin als Erfolg bezeichnet und sich doch allzu oft wie Burnout anfühlt.
Diese noble Aufgabe überlassen wir also Witzfiguren, oder jenen Menschen, die wir zu solchen erklären? Dümmer als der Narr ist nur jener, der dem Narren nachläuft, heißt es. Wehe, wehe, wehe …
Die wahren Lehrer sind nicht diejenigen, die uns im Leben etwas beibringen, sondern, die, die uns das Leben beibringen, die uns im Leben weiterbringen. Mentor:innen also, die uns dabei helfen, unsere Ziele zu erreichen. Oder dabei, diese erst einmal zu erkennen, zu hinterfragen und unseren Blick darauf schärfen, was denn ein wertvolles Ziel sein kann, welche denn unsere Werte sind oder sein könnten, und darauf, dass wir unsere Ziele auf unseren Werten aufbauen und nicht umgekehrt. Dass wir also unsere Werte nicht mit Meinung verwechseln, schon gar nicht mit den Meinungen anderer und so manipulierbar werden, von allem, was nach Zeitgeist riecht.
Lehrer sind diejenigen, die uns zeigen, dass man fragt, was man fragt, wie und warum man fragt und, dass man sich selbst aus der Fragestellung nicht ausnimmt.
Lehrer sind diejenigen, die entscheidend dazu beitragen, ob und wie wir uns selbst verstehen und so erkennen, wo wir an uns selbst angewachsen sind und wo die Quelle unserer unteilbaren Würde liegt. Sie sind diejenigen, die uns vom Gift des ungelebten Lebens beschützen könnten. Ja: könnten, wenn sie denn könnten.
Lehrer:in gehört – wie Bauer und Künstler:in – zu den heiligen Berufen einer Gesellschaft. Ohne die geht’s nicht. Ohne sie vertrocknen wir an Leib und Seele, wie wir täglich ringsum erleben. Oder weshalb sonst dürsten so viele Menschen nach Selbstfindungs-, Selbstentwicklungs-, Selbsthilfe-Programmen, die man bei wenigen exzellenten Anbietern und zuhauf bei Influencerchen, Selfhelp-Wichteln und Bewohner:innen des Lebe-deinen-Traum-Narrensaums buchen kann? Doch wohl kaum, weil die Lehrer:innen ihren Ehrenplatz verdienter(!)maßen einnehmen und deshalb auch zugesprochen bekommen. Der wäre zum Beispiel oben auf einem Tisch, so wie der von Professor John Keating, der im Film „Der Club der toten Dichter” sagt: „Ich stelle mich auf meinen Tisch, um mich daran zu erinnern, dass wir die Dinge immer wieder neu betrachten müssen.“ Sieh dir dieses Meisterwerk an und erleb, wie sich ein Mentor selbst heilt, in dem er anderen die Welt ausleuchtet.
Eine neue revolutionäre Geschichte tut Not, denn, wenn sich etwas ändern soll, muss sich zuerst die Geschichte ändern, die wir uns dazu erzählen. Deshalb hier meine Einladung in Form eines beherzten Zurufs: Lassen wir uns am Beginn dieses neuen Schuljahres von Gloria Steinem einen Gedanken ins Mitteilungsheft schreiben (mit Zierleiste): „The first problem for all of us, men and women, is not to learn, but to unlearn.“ Verlernen wir bitte in Schritt eins, die alten Geschichten die wir uns über Lehrer:innen erzählen und teilen wir dann eine neue.
Diese neue Geschichte ist ein wichtiges Kapitel in der Gebrauchsanweisung der New Story Revolution, die uns insgesamt stark macht: als Menschen, Teams und Gesellschaft. Denn sie handelt unter anderem davon, dass wir alle Lehrer:innen sind, dass wir alle einander Mentor:innen sind und sein sollen. Indem wir einander nicht belehren, sondern befähigen, beflügeln statt beflegeln, beschützen statt besiegen.
Im Zen Buddhismus findet sich ein wunderbarer Gedanke dazu: „Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Lehrer.” Vielbeschäftigt wie ich seit jeher bin, hörte ich diesen Satz erstmals nur mit halbem Ohr und verstand: „Wenn der Lehrer bereit ist, erscheint der Schüler.” Ich fand diesen verdrehten Gedanken über viel Jahre famos und stelle bis heute fest: auch dieser gilt ausnahmslos. Genauso uneingeschränkt wie die wahren Worte des amerikanischen Schriftstellers Elbert Hubbard: „The teacher is the one who gets the most out of the lessons, and the true teacher is the learner.“
Ganz gleich, ob ich Unternehmen berate, Kolleg:innen bei ihrer autorischen Arbeit begleite, nach einer Keynote Fragen beantworte oder in meinen Workshops, in einer PowerHour , in meinen Mentoring-Programmen, oder beim Schreiben meiner Blogartikel Unruhe stifte, anstifte, brandstifte und damit Menschen beim Erreichen ihrer Ziele begleiten darf: jedes Mal komme ich mit einer neuen Erkenntnis, mit einem neuen Verständnis oder einem besonderen neuen Gedanken nachhause, den ich dort gewonnen habe. Das macht mich dankbar für meinen Beruf, der irgendwie keiner ist, aber dann doch so viele gleichzeitig, in unterschiedlichen Dosen: Schauspieler, Arzt, Schriftsteller, Journalist, Lehrer und alles in allem Mentor für Menschen mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen, aber immer auf der Suche nach ihrer Geschichte. Nach einer neuen, besseren – der New Story, die sie stark macht.
Wenn du das Gefühl hast, du kannst diese Begleitung für dich, dein Unternehmen, deine Marke oder dein Team am Weg zu deiner New Story brauchen, dann findest du hier, hier und hier mehr. Oder du antwortest mir ganz einfach auf diesen Newsletter. Wir werden einander erscheinen, wenn wir bereit sind und machen dann unsere Hausaufgaben.
So steht einem erfüllenden ersten Semester des neuen Schuljahres nichts mehr entgegen, in das uns ein Hinweis meiner Großmutter, der alten Story Dudette begleiten soll, den sie bereits an ihrem aller ersten Schultag mit der Welt teilte, während sie als einzige der rotznasigen Taferlklassler ihre Schultüte rauchte: „New Story. New Glory.”