„Gleichgültig, was ein Mensch tut, er steht jederzeit im Mittelpunkt der Weltgeschichte, doch meist weiß er es nicht“, sagt Paulo Coelhos „Alchimist“. Viele bemerken nicht einmal, dass sie im Mittelpunkt ihrer eigenen Welt stehen und die Helden ihrer Geschichte sind. Dennoch will jeder ein Held sein, irgendwie, irgendwo, irgendwann, und alle reden davon: Heldengeschichten, Heldenreise, Heldenmarken, Heldenalles … Aber – was ist das eigentlich, ein Held?
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Wenn das Wort Held fällt, entstehen sofort Bilder in unseren Köpfen: heroische Figuren mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, überirdischen Kräften und unbezwingbarem Willen. Bedeutung und Bewunderung sind ihnen sicher, ein Platz in der Geschichte sowieso. Genies gehen auch noch als Helden durch, denn laut André Heller sind ja die wahren Abenteuer im Kopf.
Helden sind so ganz anders als wir, aber so wie wir gerne wären … unbesiegbar … jedenfalls schneller, besser, schlauer als jetzt … und mutiger auch.
Ja, mutiger!
Wobei: Wenn du Superkräfte hast, lässt es sich leicht mutig sein, oder?
Superhelden aus den DC- und Marvel-Universen bevölkern die Leinwände unserer Kinos dicht wie selten zuvor. Ja, wir lieben Superhelden, auch wenn sie allzu oft seltsam gekleidet sind. Aber was soll’s – wenn du mit einer Hand die Welt rettest, während du mit der anderen Hand einen Pullover aus Stahlwolle strickst, brauchst du eben funktionelle Klamotten, und niemand kann alles haben. Nicht einmal in Gotham City.
Das sind Helden.
Irrtum!
Wenn wir in Zusammenhang mit Story über Helden sprechen, dann müssen wir uns dringend vom Bild des Superhelden verabschieden. Dieses Bild mag mitunter schon passen, aber in aller Regel ist mit Held jemand ganz anderer gemeint. Nämlich Du, zum Beispiel.
Heldenmarken sind keine Helden.
Auch wenn wir über Marken als Helden sprechen, tut sich gleich einmal die Missverständnis-Schlucht in einer Breite auf, dass selbst Spiderman nur mit Anlauf rüberkäme. Natürlich träumt jeder, der eine Marke hat, von den alles überstrahlenden üblichen verdächtigen Mega-Vorbildern wie Apple, Nike, Coca-Cola und Red Bull als anbetungswürdige Superstars, deren Logo sich die Kunden mit Stolz aufs Auto kleben. Jeder, der eine Marke hat, träumt davon, dass sie ebenfalls diese magische Anziehungskraft innehat. Dabei wird in aller Regel übersehen: dass in einer gekonnt gelebten Geschichte einer Heldenmarke die Marke gar nicht der Held ist.
Wie jetzt?
Was soll denn das wieder heißen?
Ja, eine Heldenmarke ist nicht der Held ihrer eigenen Geschichte.
Genau genommen hat eine Marke ja üblicherweise zwei Geschichten, und in einer ist sie der Held, aber das ist meistens eben nicht die Geschichte, die die Kunden meinen.
Hm …
Wer soll sich denn da noch auskennen, bitte?
Und dann noch die Helden des Alltags, über die wir aus den Nachrichten erfahren. Auch sie haben etwas superheldenhaft Überirdisches.
Die Wissenschafterin, die eine Sensationsentdeckung macht; der Feuerwehrmann, der sein Leben riskiert, während er Menschen aus dem brennenden Haus rettet; die Sportlerin, die – obwohl verletzt – einen neuen Rekord aufstellt; das klaviervirtuose Wunderkind von nebenan, Oma läuft schon wieder einen Marathon …
All diese Leistungen sind bewundernswert und können Heldentaten sein, müssen aber nicht.
Nun, was macht Helden aus?
Die österreichische Antwort auf diese Frage: kommt drauf an.
Die echte Antwort ist nicht viel komplexer. Sie lautet: kommt auf den Gegner an.
Also der Reihe nach …
Alles dreht sich um die Helden. Wenn man von der Heldin einer Geschichte spricht, ist die Hauptfigur gemeint, um die sich alles dreht. Unsere Identifikationsfigur, mit der wir uns empathisch verbinden und uns daher die Frage stellen: Was würde ich tun, und wie würde ich entscheiden, wäre ich in ihrer Situation und säße an ihrer Stelle in der Zwickmühle?
Das hat mit Heldentum im engeren wie im weiteren Sinne, ob richtig oder falsch verstanden, einmal gar nichts zu tun. Wir benutzen einfach dasselbe Wort für unterschiedliche Dinge: Heldin als Hauptfigur und Heldin als Überwesen.
So, aber jetzt: Was macht einen Helden wirklich aus?
In der Essenz kann man sagen: Der Held einer Geschichte ist ein gewöhnlicher Mensch, der etwas Außergewöhnliches erreichen will – obwohl alles gegen ihn oder sie spricht –, daran wächst und deshalb als Vorbild in seinem Umfeld wirkt. Die Hauptfigur hat etwas durchlebt, dadurch gelernt, und wir mit ihr.
Wenn Story immer über eine Verwandlung erzählt, dann ist die Heldin einer Geschichte naturgemäß am Ende eine andere als sie am Anfang war.
Aschenputtel sitzt zu Beginn in der Küche, sortiert zu Beginn Linsen aus der Asche und ist am Ende Prinzessin. Das kann man Verwandlung nennen, finde ich. In der Zwischenzeit hat sie gelernt, und wir mit ihr: „Was immer dir an Ungerechtigkeit widerfährt – du bist ein besonderer Mensch, der es wert ist, geliebt zu werden. Sogar von einem Prinzen! Du musst dich dafür und davor allerdings zeigen.“
Diese Geschichte gibt’s auch für Buben. In dieser Geschichte hört Aschenputtel auf den Namen Rocky Balboa und ist am Ende keine Prinzessin, aber König – im Herzen von Adrian. Auch er musste sich zeigen, zwar nicht am Ball, wie Aschenputtel, sondern im Boxring. Blaue Augen hatten dann aber beide, er halt eher außen rum …
Wir lieben Anti-Helden.
Beide sind so genannte Anti-Helden, das glatte Gegenteil von heroisch und unbesiegbar. Mit Anti-Helden können wir als Publikum besonders leicht Empathie aufbauen, weil sie sich vor allem und offensichtlich über eine Schwäche definieren, die wir sehr gut nachempfinden können.
Die heroischen Figuren wie Superhelden definieren sich zuerst einmal über ihre Superkraft, die den meisten von uns nun einmal nicht in die Wiege gelegt wurde. Im Gegenteil. Mir hat meine Mama ein Steak in die Wiege gelegt, damit wenigstens der Hund mit mir spielt.
Damit wir als Zuschauer dennoch Empathie zur Superhelden-Figur aufbauen können, müssen zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein.
Sie brauchen erstens eine überdimensional große, bedeutende Aufgabe, die zum Wohle von uns allen gelöst werden muss, weil es sonst finster wird auf Erden, und sie brauchen zweitens in all ihrer Superheldenhaftigkeit eine Schwäche, die wir nachempfinden können.
Denken wir zum Beispiel an Peter Parker vulgo Spiderman und sein schlechtes Gewissen wegen der Ermordung seines Onkels, für die er sich schuldig fühlt, und seinen Liebeskummer wegen Gwen …
Superhelden brauchen Gegner, übermächtige Gegner – für ihren äußeren Konflikt und für ihre innere Schwäche. Das haben sie mit allen anderen Helden gemeinsam. Ohne Gegner kein Konflikt, ohne Konflikt keine Story.
Für Oma ist es der Marathon, für ihren Enkel am Klavier „Eine kleine Nachtmusik“ (G-Dur, KV 525) – und für Aschenputtel und Rocky?
Wer ist eigentlich der Gegner von Aschenputtel und Rocky? Auf den ersten Blick ist jedem klar: Es sind Stiefmutter & Stiefschwestern bzw. Apollo Creed.
Irrtum.
In beiden Fällen ist es das zerbrochene Selbstwertgefühl, das den Helden der Geschichten das Gefühl gibt, sie seien nicht liebenswert. Dieser Gegner wird besiegt – obwohl alles gegen sie spricht – und am Ende sind die Figuren verwandelt. Im Außen und vor allem im Inneren. Die äußeren Gegner verkörpern nur den inneren Konflikt, sind aber nicht die wahren Gegner. Manche Gegner bieten sich an, manche müssen entdeckt und gut ausgewählt sein, damit sie für uns tun, was sie tun sollen: nämlich beim Wachsen unterstützen. Dazu gibt’s hier noch einige spezielle Gedanken.
Die wahren Abenteuer sind im Kopf, die wahren Gegner in uns drin.
Die Geschichte über den Selbstwert ist eine, die die meisten von uns in irgendeiner Form kennen, nicht nur diejenigen mit dem Steak in der Wiege. Deshalb wird dieser Mythos von jemandem, der aufbricht, um seinen Selbstwert zu entdecken und ihn anzunehmen, immer und immer wieder in unterschiedlichsten Varianten auftauchen und die Heldin dieser Geschichte in den unterschiedlichsten Gestalten auf ewig leben. Über Generationen und Kulturen hinweg verbindet diese Geschichte die Menschheit, wir erzählen uns diese Geschichten, weil sie von uns selbst handeln, und wir teilen die Erkenntnis miteinander: Du bist es wert, geliebt zu werden – zeig dich, damit du gesehen wirst.
Jeder Mensch ist anders, in manchem sind wir alle gleich, einmal abgesehen von Dieter Bohlen und Kim Kardashian.
Echte Helden sind echt mutig.
Kennst du das? Wenn Du über deinen Schatten springst? Etwas wagst, den inneren Schweinehund abwehrst, es trotzdem tust – allen und allem zum Trotz, weil du in dir spürst: Das ist richtig, das ist nötig, das muss ich tun? Auch wenn ich Angst habe, ja, und auch wenn ich natürlich nicht wissen kann, wie’s ausgeht!
Das ist echtes Heldentum. Dem größten Gegner ins Auge zu blicken, genau dort, wo er sitzt, eben dort, wo auch die Kraft sitzt, ihn zu besiegen: in einem selbst. Das ist wahrer Mut. Oder, um mit John Wayne zu sprechen, der es ja schließlich wissen muss: „Courage is being scared to death, but saddling up anyway.“
Die meisten Menschen kennen ihre Story nicht und folgen ihrem Ruf nicht.
Sie zeigen sich nicht.
Sie bleiben in der Asche sitzen und sortieren Linsen.
Sie streunen einsam durch die Straßen von Philadelphia und prügeln gelegentlich auf tiefgefrorene Schweinehälften ein, trainingshalber und ein wenig auch aus Frust, vermutlich.
Das war’s dann.
Und irgendwo versauern in der Zwischenzeit ein einsamer Prinz in seinem Schloss und eine wunderbare junge Frau, die in einer Tierhandlung arbeitet, weil Aschenputtel und Rocky der irrigen Meinung sind, nicht liebenswert zu sein.
Ein Irrtum, vier unglückliche Menschen. Wem ist denn damit geholfen, bitte?
Helden hören ihren Ruf und nehmen ihn an.
Gute Storys lehren uns schon einmal ganz prinzipiell in einer Art, wie es gute Lehrer tun. Sie unterrichten nicht, sie verwandeln uns und geben uns Orientierung. Deshalb haben wir Menschen unsere mythologischen Erzählungen: sie dienen uns als Leuchttürme am Meer des Lebens, damit wir aufbrechen und unsere Bestimmung finden. Für die eine ist es, Prinzessin zu sein, für den anderen, einen Kegelclub zu gründen, für die eine bedeutet es, Menschen aus brennenden Häusern zu holen, für den anderen, im Klavierspielen aufzugehen. Für alle bedeutet es – André Heller würde sagen: sich lernend in einen gelungenen Menschen zu verwandeln.
Mehr braucht man dazu gar nicht zu sagen, und wer bin ich, den Worten von André Heller noch etwas hinzuzufügen?
Naja, vielleicht doch noch was: Wie sieht denn das bei Marken und Unternehmen aus?
Die beiden Storys jeder Marke.
Marken haben zwei Geschichten: die erste, die vom Unternehmen handelt und von seiner Verwandlung erzählt – vom Gründungstraum, von den riesigen Hürden am Weg nach oben, von den ruhmreichen Heldentaten, die zu deren Überwindung vollbracht wurden, und von den verheerenden Niederlagen, vom Wachstum über die Erkenntnis und vom unerbittlichen Bekenntnis zur Aufgabe in der Welt.
In dieser Story ist die Marke selbst der Held, und in manchen Fällen ist diese Geschichte so aufschlussreich, dass sie sogar zum Teil des Unternehmens-Mythos wird, der nach außen strahlt, oft genährt durch charismatische Unternehmerpersönlichkeiten. Apple ist vermutlich das Paradebeispiel, einzigartig und somit gleichzeitig auch wieder absolut untypisch; dennoch lehrreich.
Die zweite Geschichte ist jene, die den Magnetismus der Marke lebendig macht. Sie erzählt nicht vom Unternehmen oder von der Marke, sondern tut das, was John Steinbeck quasi mit dem Nasenblut von Don Draper wie ein Menetekel an die Bürowand von Sterling, Cooper geschrieben hat: „If a story is not about the hearer, he will not listen. And here I make a rule — a great and interesting story is about everyone or it will not last.“ Deshalb kann die Geschichte deiner Marke, deines Unternehmens niemals von dir und deinem Unternehmen erzählen. Sie muss immer vom Publikum handeln, sonst stehst du mit mindestens einem Fuß in der Reklame-Pfütze.
Denn nicht die Marke wird verwandelt, sondern ihr Publikum.
Am Anfang bist du müde, weil ziemlich fett und schlaff, am Ende läufst du schon ein paar Meter, und irgendwann den Marathon, denn du hast den perfekten Mentor, der dir hilft, den Ruf deines befreiten, fitten Lebens zu hören, anzunehmen und zu folgen. Der Ruf lautet: „Just do it“, und der Mentor an deiner Seite heißt Nike.
Am Anfang bist du ein funktionierendes Rad im System, dessen Kreativität bestenfalls benutzt wird, sich aber nicht entfalten kann, weil es beherrscht, beschnitten und konform gemacht wird. Am Ende nützt du dein ganzes Potenzial, gehst neue Wege, denkst nicht nur „outside the box“, sondern viel mehr noch: different. So wie du eben bist: anders als der große Rest, individuell, besonders – in einer Reihe mit den anderen Verrückten wie Jim Henson, Salvador Dalí und Maria Callas. An deiner Seite geht ein Mentor, der dir zeigt, wo Excalibur steckt, und dass du den Ruf annimmst, indem du das Schwert endlich aus dem verdammten Stein ziehst. Im konkreten Fall: den Stecker deines Mac in die verdammte Steckdose steckst.
Brandstory ist Brandpurpose.
Manchmal heißt Merlin eben Obi-Wan Kenobi, manchmal trägt er Nike. Er checkt seine Mails am iPhone, und weil auch Weise nicht frei von Sünde sind, postet er damit sein Selfie vom Frühstück auf Instagram.
Eines ist gewiss: das gemeinsame Anliegen des Mentors und des Helden der Geschichte: die gemeinsame Sehnsucht. Im Falle einer Marke sagt man dazu oft Purpose – der Zweck.
Manche Unternehmen wurden sogar aus diesem ihrem Anliegen heraus gegründet, ich nenne das Mentor Brands. Patagonia ist für mich ein besonders schön gestriegeltes Pferd in der wachsenden Purpose-Brand-Herde. Das sind Marken, die weiter gehen als am Selbstverständlichkeits-Stand von Corporate Social Responsibility zu treten. Sie sagen nicht „Die Welt ist gut, obwohl es uns gibt“, sondern „Die Welt wird besser, weil es uns gibt“.
Diese Marken haben eine Story, die die Menschen begeistern kann – nach innen und nach außen – und vermag, deren Verwandlung anzustoßen.
So muss man sich die Heldenreise nicht wie einen Kreislauf vorstellen, sondern wie eine arabeskenhafte Verschlingung zahllos vieler Unendlich-Zeichen mit dem Bestreben, sich in die Ornamentik der Blume des Lebens zu ordnen. Klingt nicht nur komplex, ist auch so.
Jeder Mensch, aber auch jedes Unternehmen – egal ob Weltkonzern, ob KMU (kleine und mittlere Unternehmen) –, jede Organisation ist auf einer Reise unterwegs, ausgelöst durch eine Notwendigkeit, deren Erfüllung zum Sinn der Sache führt. Es ist ihr Beweg-Grund hin zur eigenen Wahrheit, wo das eigene Ich angewachsen ist.
Jeder braucht für seine eigene Wahrheit Sinn, eine Mission, einen Purpose, also mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. So gewinnt man gleichgesinnte Mitstreiter; so wird man zur Heldin der eigenen Geschichte.
Allen, die also sagen: „Für mich oder für meine Marke gilt das nicht!“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, Clark Kent neben das Etikett mit der Waschanleitung seines Capes stickte: „No Story. No Glory.“