Hat Deine Markenstory den Rocky-Punch?

Häufig werde ich von Unternehmen und Werbeagenturen eingeladen, bei der Suche nach der Brandstory behilflich zu sein. Was sich allerdings rasch herausstellt ist, dass es dabei oft nur ums Finden neuer Inhalte für Werbespots geht, also um emotionale/spannende/lustige und in jedem Fall originelle und gut erzählte Geschichten.

Das ist zweifellos nötig. Wir alle kennen ja diese Menschen, die in geselliger Runde an der Bar den lustigsten Witz der Welt so schlecht erzählen, dass man wünscht, in der Erdnuss-Schale wäre Prozac. Und dann gibt’s diese Ausnahmetalente, die dir einen mittelmäßigen, uralten Witz so gut erzählen, dass man bereits lang vor der Pointe deinen Sitz wischen muss.

Keine Frage, gut erzählt ist lebenswichtig und schwierig genug. Aber erfolgsentscheidend was die nachhaltige Wirkung betrifft, ist nicht die Erzählung, sondern das Thema.

Wir benutzen dasselbe Wort für zwei unterschiedliche Dinge, was in aller Regel zu einem fatalen Missverständnis führt. Es wird nämlich auf die substanzielle Bedeutung von Story schlichtweg vergessen. Story bedeutet beides:

  1. Die Handlung – die Erzählung
  2. Das Thema – die Bedeutung

Dieses Missverständnis zieht sich quer durch alles, was mit Story zu tun hat. Schlag die nächstbeste Zeitschrift auf. Buchbesprechungen, Theaterkritiken oder Filmberichte beschränken sich in den allermeisten Fällen darauf, dass die Handlung diskutiert und die handwerkliche Qualität des jeweiligen Werkes beurteilt wird. Nur, es geht um mehr.

In der Kunst, genauso wie in der Marken-Kommunikation liegt die magnetische Kraft von Story in der Bedeutung, denn nur dadurch entsteht Beziehung, also der Mehr-Wert. Und Mehrwert ist Nährwert.

Rocky-Punch
Ein Meisterwerk der Erzählkunst mit einem starken Thema

 

Du hast vermutlich Rocky gesehen, wenn nicht: nachholen. Rocky ist auch noch nach 40 Jahren in vielen Dimensionen ein Vorzeige-Meisterwerk und Schulbeispiel an Erzählkunst, der Erfolg kam nicht von ungefähr.

Warum hat dieser Film so viele Menschen bewegt? Die Identifikation mit einem nicht rasend intelligenten Underdog aus Philadelphia, der Weltmeister im Schwergewichts-Boxen werden will, bietet ja für unsereins nicht sehr viel Identifikationspotenzial. Aber das Thema macht’s. Genau genommen sind es zwei Themen, die uns Menschen seit immer und für immer bewegen.

  1. Selbst ein Loser kann es ganz nach oben schaffen, wenn er nur die Chance dazu bekommt.
  2. Du bist es wert, geliebt zu werden. Glaub daran!

Ist das nicht etwas, was uns alle mehr oder weniger bewegt? Hat das nicht Bedeutung für jeden von uns? Jeder von uns will in großen wie in kleinen Angelegenheiten ein Chance bekommen, oder kennt das Gefühl, ich hätte dies oder das geschafft, wenn ich nur eine Möglichkeit dazu bekommen hätte.

Und der Wunsch nach Liebe, nach Anerkennung und Zugehörigkeit brennt sowieso in jedem Menschen. Die meisten fühlen sich allerdings – aus unterschiedlichsten, meist irrationalen Gründen – nicht liebenswert. Und auch Rocky schreit nach seinem heroischen Fight gegen Apollo Creed im Ring nicht: „Ich bin ein Super-Boxer!”, sondern „Adrian!!!” Das war sein eigentlicher Sieg, der Sieg über sich selbst und die Erkenntnis: Ja, ich hab meine Chance genützt, ich hab gezeigt, dass ich kein Loser bin, ich bin es also wert, von Adrian geliebt zu werden.

Du bist es wert, dass man dich liebt – das ist das Thema dieses Films, das ist die Bedeutung für uns, die Sehnsucht, die jeder teilt. Bedeutung – das ist der Rocky-Punch, den deine Markenstory braucht. Das kann jeder von uns lernen, und zwar ohne dass uns dafür Apollo Creed eine gute halbe Stunde lang die Fresse poliert.

Was ist dein Thema?

Die allseits beliebten Ärzte-Serien sind keine Ärzte-Serien, die davon handeln, dass Menschen geheilt werden. Das ist bloß das Setting und die Plattform, auf der sich die eigentliche Story ausbreitet.

Ein Krankenhaus ist als Schauplatz für die Macher einer Serie deshalb so praktisch, weil hier erstens alle Menschen jeder Bevölkerungsschicht einander ganz selbstverständlich begegnen können und zweitens, dank des Leidens der Patienten, ständig eine Basisdramatik durch die Gänge weht wie der Geist von Prof. Brinkmann durch unsere verklärte Erinnerung. (Gottlob muss der Professor nicht mehr mitansehen, dass sein Filius Udo mittlerweile zum Traumschiff-Kapitän mutierte …)

Dennoch handelt eine Ärzteserie niemals von der dramatischen Lösung medizinischer Probleme, sondern von den Menschen, die sich dort herumtreiben.

Rocky-Punch
Eine Serie über … Ärzte? Nein, über Verantwortung.

 

Als ich Grey’s Anatomy vor vielen Jahren erstmals sah, war ich schlichtweg begeistert von der Qualität der Drehbücher von Shonda Rhimes. Ich hoffe, sie sind noch immer so gut – ich musste leider aus Zeitgründen den Kontakt abbrechen als McDreamy noch lebte.

Grey’s Anatomy ist eine Serie über das Erwachsenwerden, womit sich in unserer Zeit auffällig viele bereits ziemlich erwachsene Menschen zunehmend schwer tun. Es geht ums Erwachsenwerden und die Verantwortung die damit zusammen hängt. Die permanente Herausforderung, zu erkennen, was – nicht nur medizinisch – richtig und was falsch ist, und die richtigen Entscheidungen zu treffen, was meistens in einem Dilemma endet. Das Leben halt.

Das ist insofern besonders spannend, als Ärzte Tag und Nacht Verantwortung für das Schicksal anderer übernehmen müssen, aber die jungen sich gleichzeitig abmühen, Verantwortung für sich selbst und das eigene Leben zu tragen.

Dazu kommt natürlich noch jede Menge Liebeschaos und Wahnsinn, der Arbeitstitel bei der Entwicklung der Serie war immerhin Sex & the Surgery. – Weiß eigentlich jemand, wie’s Carrie Bradshaw geht?

Story braucht einen Standpunkt.

Wer eine Story entwickelt, braucht einen Standpunkt. Das gilt für jede Markenstory und für alles, was Literatur ist, sowieso. Man nennt das im Amerikanischen die Writer’s Voice – das, was eine Autorin zu sagen hat, die Botschaft des Autors.

Bei einer anderen Arztserie, Dr. House, ist dieser Standpunkt ganz offensichtlich: „Jeder lügt – Patienten sowieso.” Somit entfaltet sich die Spannung und Dramatik von Dr. House in einer klaren Perspektive, und wenn du dir aus dieser Perspektive ein paar Episoden ansiehst, wirst du erkennen, in wie vielen Facetten dieser Standpunkt meisterlich erlebbar wird.

Rocky-Punch
Eine Serie über … einen Arzt? Nein, über Wahrheit.

 

Dr. House ist also eine Serie über Wahrheit bzw. über ihre Abwesenheit und die Suche danach. Und manchmal stellt sich die Frage, ob es die Wahrheit wirklich gibt.

Übrigens: kommt dir die Character-Konstellation Dr. House und Dr. Wilson bekannt vor? Der Namens-Anklang an Holmes und Watson ist kein Zufall …

Auch deine Markenstory braucht eine klare Perspektive, denn die Perspektive wird von deinen Werten genährt. Die Werte schaffen Bedeutung und die Bedeutung erzeugt die Beziehung zu deinem Publikum. Werte – Bedeutung – Beziehung, das ist der genetische Code einer Brandstory. Das ist der genetische Code von Story insgesamt.

Finde deine Wahrheit.

Das Echte, Wahrheit, Authentizität – das interessiert die Menschen. Das gelingt auch in der Marketing-Kommunikation. Wahrheit ist tatsächlich die einzige Chance, die Marken, Unternehmen und Organisationen haben, damit sie und ihre Kommunikation überhaupt noch ernst genommen werden.

Was hältst du zum Beispiel davon:

AUFBLENDE: Es ist ein sonniger Morgen in unserer schönen kleinen Stadt, und es duftet nach Frühling und Sonntag. Die Haustüre öffnet sich, endlich: Papa ist von seiner Geschäftsreise zurück! Benny und seine Mama begrüßen den Heimkehrer wie einen … ja: Heimkehrer, zerdrücken ihn fast in ihrem Ansturm liebevoller Freude. Sogar Laura kommt runter, zwar noch ein bisschen pubertätsschmollig verschlafen, aber immerhin, jetzt ist nämlich alles wieder ganz, alles wieder gut! Ronja, die räuberische Hauskatze, schnuppert an Papas Tasche, denn auch für sie hat er etwas mitgebracht. Er denkt einfach an alle und an alles. Papa eben …

Er sieht alles mit seinem wachen, blitzenden Augen, aber er sieht vor allem mit seinem Herzen besonders gut – Papa, der große kleine Prinz – und er bemerkt natürlich sofort, was sich in der Zwischenzeit hier an Schönem ereignete.

CLOSE UP: Wir sehen – Zutreffendes bitte ankreuzen:

Sachen werden grün, die lieber nicht grün werden sollten, Papas Gesicht zum Beispiel, weil er ihn eben auch plötzlich spürt, diesen Leiner-Moment (und nicht erlebt, wie wir anderen das bei den gewöhnlichen Momenten gewöhnlich tun).

Einrichtungsgegenstände, die sich normalerweise nicht bewegen, bewegen sich, weil Hausgeist Mia vorher bei Mömax und danach hier war, und nach einer Schrecksekunde alles gleich besser aussieht.

Dem Küchenkasten entsteigt David Alaba und weist alle frohen Anwesenden darauf hin, dass zwar nur er ein Kicker sei, aber alle gemeinsam dann doch kika wären, wenn sie denn nur wollten und das ist doch einmal eine wirklich gute Nachricht zur Abwechslung.

Geht’s noch? Man reiche mir die Prozac-Schale!

Genau das ist Werbung und genau das geht den Menschen so wahnsinnig auf die Nerven, dass immer mehr Leute Geld dafür ausgeben, um keiner mehr begegnen zu müssen. Zugegeben: der erste Teil des Werbespots ist erfunden, tatsächlich nur ge-funden, existiert er doch in uns allen. Es ist die Sehnsucht von uns Menschen nach einer heilen Welt, die sich in den Hinterköpfen derer, die Marketingkommunikation verantworten derart breit macht, dass sie den Blick auf die Wirklichkeit verstellt.

Es herrscht noch immer das große Missverständnis, dass erfolgreiche Markenstorys schön und gut sein, alle Mitwirkenden sympathisch rüberkommen müssen und es am Ende doch zumindest ein wenig lustig zugehen soll. Das ist eine Möglichkeit, aber alles andere als eine Voraussetzung für wirkungsvolles Storytelling. Story braucht vor allem eines: Wahrheit.

Wahrheit ist nämlich die große, unwiderstehliche Stärke von Story. Story ist das Abbild unseres echten Lebens, unserer Werte, unserer tiefen Sehnsucht. Story braucht zudem Empathie, denn Empathie ist echt und wurzelt im Inneren der Menschen, Sympathie verfliegt. Allerdings, wenn beides zusammenkommt, ist’s auch nicht verkehrt …

Marken, die ernsthaft und respektvoll dorthin gehen wo’s weh tut, also dorthin, wo das echte Leben wohnt und die Menschen wirklich etwas brauchen, sind an der richtigen Stelle für erfolgreiche Brandstorys angelangt. Dann verbinden sich ihre Werte und Sehnsüchte mit denen ihres Publikums. Dann wird Werbung zum Gespräch und Storytelling zum Storysharing, miteinander geteilte Werte. Wir sind ein-verstanden.

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Die aktuelle Kampagne von IKEA in Schweden „Where life happens” zielt darauf ab. Der Spot „Every other week” schraubt sich emotional perfekt in die Lebenswelt allzu vieler (Ex-)Familien ein und dramatisiert dabei die Produkte auch noch dramaturgisch gekonnt.

Die IKEA-Story hat den Rocky-Punch. Sie hat ein Thema, sie hat Bedeutung, sie hat einen Standpunkt. IKEA hat verstanden, dass es nicht um die Möbel geht, sondern darum, dass man damit das Gefühl(!) von Zuhause schaffen kann, mit allem was dazugehört.

Damit gute Werbestorys nicht doofe Werbung bleiben täte IKEA gut daran, „Where life happens” ins reale Leben zu verlängern, vielleicht mit pfiffigen Initiativen für alleinerziehenden Eltern unter ihren Mitarbeitern, in den Märkten, auf der Website, draußen in der Welt. Denn dann wird eine kraftvolle Brandstory nicht nur wahr, sondern erlebbare Wirklichkeit.

Dann entsteht die so genannte Immersive Brand Experience, also die Möglichkeit, die Markenwerte wirklich umfassend zu erleben. Und dann bekommt die Marke das kostbarste, was sie von ihrem Publikum bekommen kann: Zeit. Time with Brand.

Gilt das für alle Unternehmen und Marken? Nein, aber für die erfolgreichen. Wahrheit in der Brandstory ist nämlich keine Frage der Unternehmensgröße, sondern eine Notwendigkeit für erfolgreiche Kommunikation. Egal ob Weltkonzern, KMU oder EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat ein Image, irgendeine Story, steht für etwas, und sei es für nichts.

Meine Großmutter, die alte Story Dudette, war bekannt für ihren verdammt harten rechten Haken, den selbst Rocky nur schwer hätte auspendeln können. Und sie trug ein Tattoo auf ihrem rechten Bizeps, dass mich bis heute in meinen Gedanken begleitet: „No Story. No Glory.”

Bildhinweise:
Titelbild: © mgm gefunden bei rocky balboa. feb. 24th 2015. 20h50 (19:50 gmt). d8 >> Alatele fr >> Flickr >> Lizenz
Bild Rücken/Faust: © mgm gefunden bei rocky balboa. feb. 24th 2015. 20h50 (19:50 gmt). d8 >> Alatele fr >> Flickr >> Lizenz
Greys Anatomy: Grey’s Anatomy, Sexy Doctors >> >> Flickr >> Lizenz
Dr. House: House.M.D-Everybody-lies-02 >> Kay Kim >> Flickr >> Lizenz

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