Wenn Du dem blanken Entsetzen begegnen willst, dann nimm des Morgens die U-Bahn. Wo fahren all die Menschen hin? In die Hölle? Jedenfalls sehen sie so aus: leere Augen, giftige Blicke, viele in ihre Handydisplays gebohrt; missmutige Gesichter, Freudlosigkeit als Gemeinschaftsgefühl.
Der Weg in die Arbeit ist für viele die kürzeste Verbindung zwischen „I don’t like Mondays“ und „Thank God it’s Friday“. So sind dann zum Glück wieder fünf Tage Lebenszeit in den Kanal gekübelt, das Wochenende beginnt, der Urlaub rückt auch näher, und der nächste Feiertag lacht hoffentlich schon vom Kalender.
Kürzlich hielt ich an einem Samstag einen Vortrag und fragte ins Publikum: „Wer muss am Montag arbeiten?“ Die meisten hoben die Hand. Bei der folgenden Frage: „Wer will am Montag arbeiten?“ waren schon deutlich weniger Hände zu sehen.
ZU FAUL ZUM WEITERLESEN? DANN HÖR MIR ZU:
Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!
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Wann hattest Du zum letzten Mal an einem Montagmorgen das Gefühl, heute beginnt wieder eine geile Woche?
Kannst du dich noch erinnern, als Du als Kind so vertieft ins Spielen warst, oder in dein Malbuch, dass du überhaupt nicht mitbekommen hast, wie die Zeit verfliegt, bis Mama sagte: „So, Zeit zum Abendessen.“ – Selbstvergessenheit in ihrer schönsten Form. Verschwunden in Begeisterung.
Wann hattest du dieses Gefühl zum letzten Mal? Im Job?
Kürzlich las ich, dass 24 % aller Berufstätigen innerlich gekündigt hätten, 61 % würden nur noch Dienst nach Vorschrift machen und nur 15 % seien ihrem Arbeitgeber emotional verbunden. So verbringen die Menschen also einen großen Teil ihrer wachen Zeit während eines großen Teils ihres Lebens – jenes Lebensabschnitts, in dem ihre Leistungskraft am höchsten ist.
Geht’s noch?
Gleichzeitig wimmelt es von Karriere-Messen, der Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter läuft auf Hochtouren, Employer Branding ist in aller Munde. „Wie finden wir bloß Fachkräfte, Lehrlinge, gut motivierte Kollegen?“, tönt es sehnsuchtsvoll aus den HR-Abteilungen.
Also lachen einem die Bilder der Mitarbeiter im Foyer entgegen, Kicker-Automaten und Obstkörbe werden aufgestellt, zum Lehrabschluss gibt’s für die Besten den Führerschein als Belohnung dazu. Und dann?
Sind eigentlich alle Mitarbeiter Fans der eigenen Unternehmensseite auf Facebook? Wirklich? Liken oder teilen sie die Inhalte eigentlich auch?
Ach ja: eigentlich …
Eigentlich … was jetzt?
Wenn mir Menschen über ihre Jobs und von ihrem Plan fürs Leben erzählen, kommt kaum jemand ohne das Wort eigentlich aus.
Warum eigentlich?
„Eigentlich wollte ich ja immer …“
„Eigentlich würde ich viel lieber …“
Die meisten Menschen leben im Konjunktiv. Sie stürzen sich als Surfbrett hinaus in die Suche nach der perfekten Welle ihres Daseins, werden kräftig durchgeschüttelt und schließlich als Bügelbrett an die Küste des Alltagsfrusts gespült.
Ist es da ein Wunder, wenn Beratungsangebote rund ums Thema „Finde Deine Bestimmung“ explosionsartig zunehmen? Raus aus dem Hamsterrad, Passion-Projects, Selbständig sein von zuhause aus, Folge deinem Herzen, Lebe Deinen Traum … Web-Plattformen, Online-Kurse, Bücher, Festivals, Inspiration-Nights, motivierende Zitate-Postings – an Vor- und Nachschau-Möglichkeiten, was man denn eigentlich tun könnte/wollte/sollte und wie es gelingen könnte, besteht weißgott kein Mangel. Orientierungshilfen auf der Suche nach Antworten auf die schmerzlich brennende Frage: „Wofür bist du eigentlich angetreten?“
In den Unternehmen werden einstweilen die Bügelbretter gestapelt, während die HR-Abteilung das Surfbrett-Fernrohr scharf stellt.
Glück oder Geld?
Dazu kommt auch noch, dass besonders in der Generation Y anders leben und anders arbeiten an Bedeutung gewinnt, und damit ist nicht nur der Inhalt gemeint, sondern auch wie und wie viel.
Zugegeben: Leute, die allzu viel über Work Life Balance sprechen, verwechseln häufig frei sein mit frei haben. Aber junge Menschen sehen immer öfter den Zusammenhang zwischen Arbeit, Einkommen und einem geglückten Leben ganz einfach aus deutlich anderer Perspektive als sich das in den verwichenen Jahrzehnten als Selbstverständlichkeit im Rang eines Naturgesetzes manifestierte, obwohl das noch in der Hochkultur der Antike völlig anders war.
Kerstin Bund, Autorin bei Die Zeit, hat unter dem Titel „Glück schlägt Geld“ ein erhellendes Buch darüber geschrieben, wie ihre Generation leben und arbeiten will. Hier erklärt Kerstin kurz, worum es geht. Dieses Buch sollte jeder HR-Manager dreimal lesen und zweimal besitzen: einmal für den Schreibtisch und einmal für unter dem Kopfkissen. Und bloß nicht denken, es handle sich um eine allzu kleine Nische. Hier geht es um einen Paradigmenwechsel, der über die Bande durch die digitale Transformation in neuem Spin noch einmal aufgespielt wird. In jeder Nische.
Warum passt die Leidenschaft der Einzelnen mit dem, was sie beruflich tun, immer seltener zusammen? Und wie kann das passend gemacht werden?
Wer sehen kann, erkennt, dass zwischen dem, wofür ein Unternehmen steht, und dem, was seine Mitarbeiter dadurch erleben, ein ganz enger Zusammenhang besteht.
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Wo arbeiten wir – und warum?
Ich habe kürzlich gelesen – wenn ich mich recht erinnere, in einer Futurestep-Untersuchung –, dass die Kultur eines Unternehmens und seine Verbindung zum Purpose der wichtigste Grund ist, weshalb sich Menschen für einen Arbeitgeber entscheiden.
Es ist wieder einmal die allseits beliebte Story eines Unternehmens – sein Anliegen, seine Mission, seine Aufgabe –, die für das Erleben von Sinn(haftigkeit) sorgt. Deshalb sind die Mitarbeiter das erste und wichtigste Publikum jedes Unternehmens, weil in dieser Gruppe die Wahrheit verstanden, gelebt und geteilt wird. Und weil vor allem das Erlebte zählt, damit das Erzählte lebt.
Nicht zuletzt deshalb haben die Führungsmodelle Top-down und Bottom-up längst ausgedient. Inside-out steht am Deckblatt des Führungshandbuches von heute! Von innen treibt der Purpose alles an, schlägt nach außen Wellen – und wenn es glückt, eben auch die perfekte Welle für viele Surfbretter, deren Ambition sich paradiesisch entfalten kann, neue Kreise zieht, andere erfasst und mitnimmt.
Vielleicht ist es so gesehen gar kein allzu großer Zufall, dass Yvon Chouinard, der legendäre Gründer von Patagonia, seine Autobiografie „Let my People go Surfing” betitelte.
Das ist es, was jeder Mensch eigentlich sucht: einen Platz, an dem er die Gewissheit hat, seine Zeit sinnvoll zu verbringen. Niemand kündigt seinen Job wegen Geld, auch wenn viele denken, es sei so. Die Menschen wechseln ihren Job wegen anderer Menschen oder deshalb, weil sie hoffen, am neuen Platz mehr wert zu sein – mehr Selbstwert zu bekommen.
Wir sollten nicht den Fehler machen, diesen Zusammenhang auf so genannte Arbeitsplätze für so genannte besser Gebildete zu reduzieren. Die besser Gebildeten haben in aller Regel nur eine höhere Ausbildungsstufe absolviert, und auch das sagt wenig aus. Es hat ja auch jeder vertrottelte Autofahrer, der dir begegnet, einen Führerschein …
Müllmann müsste man sein!
Der Selbstwert entsteht in der Aufgabe und ihrem Bedeutungssinn, den jeder darin für sich erkennt, ganz unabhängig von Beruf und Position. Das wurde mir erst kürzlich klar, als ich Wien einen Müllmann beobachtete. Dieser Mann in seinen Fünfzigern – groß, hager, gepflegt – holte mit aufrechtem Gang die Mülltonnen aus den Häusern, grüßte Passanten freundlich, ließ ihnen am Gehsteig den Vortritt und verrichtete seine Arbeit in einer selbst-bewussten Eleganz, ja in einer Würde, die man an kaum jemandem sieht.
Ich hatte nicht die Zeit, ihn anzusprechen, werde das aber sicher nachholen. Und ich gehe jede Wette ein: Dieser Mann hat für sich verstanden, dass er nicht den Dreck der anderen wegräumt, sondern dass er einen wesentlichen Beitrag zur Lebensqualität der Bewohner und einen unverzichtbaren Beitrag für das funktionierende Zusammenleben in unserer Stadt leistet, wie ein Blick in jeden Ort, in dem die Müllabfuhr streikt, mehr als deutlich macht. Er ist unverzichtbar!
Wann hattest du dieses Müllmann-Gefühl zum letzten Mal?
Oder deine Mitarbeiter?
Warum eigentlich nicht?
Die einzige wirksame Employer Branding Story.
Von all den Recruiting-Kampagnen, die heutzutage mit großem Aufwand und viel Geld produziert vom Stapel laufen, erzählen die wenigsten die einzige relevante Story: Hier leistest Du einen sinnvollen Beitrag zu etwas Großem, zu unserem gemeinsamen Purpose, und holst Dir jeden Tag eine Auffrischungsimpfung für Deinen Selbstwert. Die meisten Unternehmen sprechen zwar mit potenziellen Bewerbern, meinen aber nur sich selbst.
Eine überaus interessante Beobachtung mache ich stets, wenn ich mit Unternehmensgründern spreche. Wenn sie mir ihre Geschichte erzählen, beginnt die häufig mit „Eigentlich habe ich ja etwas ganz Anderes gelernt …“. Die prinzipielle Lust auf neue Ufer spielt im Leben unternehmerischer Menschen zweifellos eine Hauptrolle, dennoch frage ich mich: Was läuft falsch an unserem Ausbildungssystem, wenn Menschen mindestens neun Jahre in der Schule zubringen, viele noch weitaus länger, und dann etwas ganz Anderes machen, damit sie so etwas wie Erfüllung finden?
Was passiert mit den Talenten der Kinder? Warum wird kaum einem geholfen, seine eigene Geschichte zu entdecken und lebendig zu machen?
Ich fürchte, die giftigen Blicke in der morgendlichen U-Bahn kommen aus dem Herzen. Das ist auch kein Wunder: ungelebtes Leben vergiftet, unerzählte Geschichten vergiften.
Was wir heute im Recruiting und im Employer-Branding als Sorgen-Thema auf den Tisch geschleudert bekommen, wird uns in sehr kurzer Zeit aus vielen, vielen leeren Augenpaaren als gesamtgesellschaftliches Szenario anstarren, wenn wir nicht aufpassen. Nämlich dann, wenn sich die Auswirkungen des technologischen Umbruchs handfest zeigen.
Wenn die digitale Transformation nämlich das tut, was jeder technologische Umbruch tun soll: dafür sorgen, dass wir Menschen weniger arbeiten, werden Menschen weniger arbeiten und weniger Menschen arbeiten. Was denn sonst?
Ja, es wird neue Jobs geben und neue Berufe auch.
Nein, nicht jeder wird sie ausüben können.
Es wird dann auch keine Frage von Ideologien und parteipolitischen Ansichten oder Regierungsformen sein, ob so etwas wie ein Bürgereinkommen entsteht, das wird ganz einfach nötig sein.
Was wir arbeiten, wie wir arbeiten und wie viel, wer überhaupt noch arbeiten wird – der Zusammenhang zwischen Arbeit, Einkommen und dem Sinn seines Daseins wird für jeden Menschen eine spezielle, gute und oft auch eine neue Story brauchen.
Wohin fahren dann die vergifteten Menschen in der U-Bahn, wenn sie nicht einmal mehr ihre Frustjobs haben als Camouflage für das, was ihnen in Wahrheit fehlt?
Wer erklärt den Menschen dann die neue Welt? Wolfgang Fellner? Heidi Klum? Alexander Gauland? Die Vorstadtweiber?
Am besten wäre, jeder könnte seine eigenen Human Resources selbst finden, als CEO und besser noch als Unternehmer in seinem eigenen Leben.
Da kommt was auf uns zu!
Es wird nicht leichter, machen wir’s besser!
Employer Branding wird dadurch – so meine ich – gewiss nicht leichter, und „Wie finden wir bloß Fachkräfte, Lehrlinge, gut motivierte Kollegen?“ sieht noch aus wie eine Frage, klingt aber wie ein Verzweiflungsschrei.
Diesen Wettbewerb gewinnt, wie jeden anderen auch, zuerst einmal, wer die bessere Story hat und sie begeisternd teilt. Es ist übrigens dieselbe Story, die bereits heute als einzige Erfolgsgeschichte im Employer Branding taugt. Sie erzählt vom Selbstwert, von dem Gefühl, einen wertvollen Beitrag zu leisten, also wirkungsvoll und relevant zu sein.
Das ist auch das Gegenrezept zur Ur-Angst vor der digitalen Transformation, die zwar unter dem Titel „Job-Verlust“ verkauft wird, aber die Story vom Bedeutungsverlust erzählt.
Dass diese Geschichte für jeden anders erzählt und an unterschiedlichen Treffpunkten geteilt werden muss, versteht sich genauso von selbst wie die Geschichte vom Selbstwert und von dem Wert, geliebt zu werden, die einmal klingt wie „Aschenputtel“ und ein anders Mal aussieht wie „Rocky“.
Kennst du deine Story?
Denn egal ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen – jeder Mensch, jedes Unternehmen hat und braucht Sinn, eine Mission, einen Purpose, also mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. Mit dieser Story gewinnt man gleichgesinnte Mitstreiter, das ist das Prinzip von Employer Branding.
Wenn du keinen magnetischen Wert als Kern deiner HR-Story hast und keinen Purpose vermitteln kannst, bleibt dir nämlich nur noch ein einziges Thema: das höhere Gehalt. Und das ist in diesem Fall nur ein anderes Wort für Schmerzensgeld am Fluchtweg.
Allen, die also sagen: „Für mich und meine Marke gilt das nicht!“, seien jene Worte ans Herz gelegt, die sich meine Großmutter, die alte Story Dudette, aufs Surfbrett bügelte: „No Story. No Glory.“