Atemlose Stille im Kino. Popcorn, Chips & Cola sind längst verputzt, also dritter Akt auf der Leinwand – die so genannte Obligatory Scene jedes Thrillers: Der Held steht dem Bösewicht gegenüber, meist Auge in Auge, und bekennt Farbe. Nur – wer ist wer?
Hier und heute interpretiert Bruce Willis dieses „Auge in Auge“ in seiner unnachahmlichen Weise, weil er an der Fassade eines Wolkenkratzers an einem Haken hängt, an dem er sich mit einem ja: Augenlid festhält. Und das in diesem Alter! Fuck a duck – mal sehen, ob das Tom Cruise dann auch noch schaffen wird; aber eher nicht.
Die taxigelbgestreifte Rushhour der 6th Avenue braust ihrer Bestimmung entgegen, und Bruce beweist etwa 150 Stockwerke darüber, dass die Weisheit „nur wer loslässt, hat die Hände frei“ dank seines durchtrainierten Lidzeps nicht immer stimmen muss. Die Hände hat er dennoch frei, denn er braucht sie für je ein großkalibriges Qualitätserzeugnis aus dem Hause Glock. Ein Treffer aus diesen Geräten tötet den Gegner nicht, sondern planiert ihn ein, unter Werksgarantie.
Solcherart bewehrt zielt Bruce also ins Innere des Gebäudes, und wer jetzt erst ins Kino kommt, weiß nicht, was Bruce im Schilde führt. Der unrasierte Bruce trägt eine abgewohnte schwarze Lederjacke, ein blutverschwitztes T-Shirt, vom Leben zerfetzte Jeans und ein saftiges Cut am Nasenrücken, was, jedenfalls in gutbürgerlichen Kreisen, auf nichts Gutes hinweist.
Zu faul zum Lesen? Dann hör mir zu:
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The Story Dude liest den aktuellen Podcast.
Dem Typen hingegen, der Bruce Willis gegenübersteht, in der Vorstandsetage, in Brioni, in Schweiß gebadet und angesichts der entsicherten Glock-Produkte in beachtlichem Erklärungsnotstand, sind selbst durch das zerbrochene Fenster seine gute Erziehung, die erstklassige Ausbildung und das Haus in den Hamptons, in dem ihn seine WASP-Familie in Zufriedenheit und Ralph Lauren erwartet, anzusehen. So wie er sehen Gute aus, auch wenn es gegenwärtig für den guten Mann alles andere als gut aussieht.
Wenn wir nämlich die Stimmung von Bruce Willis richtig deuten, dann ist diese Stadt definitiv zu klein für die beiden, auch wenn es sich offensichtlich um NY (NY) handelt. Das sieht ja ein Einäugiger! So hängt also nicht nur Bruce Willis, sondern auch eine Entscheidung in der Luft, und genau deshalb kommt er jetzt. Er – jener Satz, der uns so sehr am Herzen liegt, mehr noch als Popcorn, Chips & Cola im Magen. (Nächstes Mal die kleinen Popcorn, schwöre.)
Der Satz, der alles erklärt und auf den wir seit 82 Minuten und 48 Sekunden unterbewusst warten.
Wie das Amen im Gebet, fällt nämlich in der Obligatory Scene so oder ähnlich folgender Satz, in diesem Fall aus dem Mund des Brioni-Typen: „Ich hatte keine Wahl, ich musste… alle umbringen/das Kraftwerk sprengen/das Konto abräumen …“
Amen.
Oder, wie es Bruce Willis mitunter ausdrückt: „Yippie kay yay, motherfucker!“
Der Übeltäter ist davon überzeugt: „Ich hatte keine Wahl!“ Also: Ich wurde dazu gezwungen, ihr habt mich dazu getrieben. Oder noch mehr: Ich bin im Recht, ich konnte nur so Gerechtigkeit wiederherstellen. Ich habe gar nichts Böses getan.
Der Böse empfindet sich niemals als der Böse. Im Gegenteil: Er meint, er tut, was er tut, aus gutem Grund.
Niemand begeht ein Verbrechen, weil er ein Verbrechen begehen will (außer, er ist tatsächlich geisteskrank). Selbst jeder Serienkiller ist davon überzeugt, dass er tut, was er tun muss, dass er dazu verpflichtet oder zumindest berechtigt ist. Und sei es aus dringend nötiger Rache.
Jeder Antagonist in unserer Story ist der Protagonist in seiner, in der dann wiederum wir die Antagonisten sind.
Das ist nicht nur im Hollywood-Blockbuster so, oder im fesselnden Romanklassiker, oder in der großen Tragödie auf den Bühnen dieser Welt. Dies alles ist ja letztlich und im besten Fall verdichtet beschriebene Wahrheit des Lebens.
Wer ist schon wirklich gut, wer böse?
Auch im wirklichen Leben gibt es keinen bösen Menschen, der über sich sagt, er sei böse. Und das trotz Hass, Missgunst, Liebe, Eifersucht, Habgier, Neid, Verrat …
Kein Elternmörder, kein Großbetrüger, kein diktatorischer Schreckensherrscher – nicht einmal Hitler hatte den Gedanken, er wäre im Unrecht. Sie alle sind sogar fest davon überzeugt, sie verfolgen eine Mission, erfüllen ihre Pflicht, tun jedenfalls, was nun einmal getan werden muss. Auch wenn’s Opfer verlangt.
Selbst Nazis hatten/haben – das muss man in aller schrecklicher Klarheit wissen – eine für sie perfekte Story: eben ein eindeutiges Werteprofil, dem sie sich verpflichten, eine Vision, eine Mission, einen Feind von außen … abscheulich, aber wahr.
Mit der Story-Mechanik „Wir sind die Vielen, die moralisch Überlegenen, die von einer mächtigen elitären Minderheit beherrscht werden“ kannst du wie Donald Trump „America First“ fordern, oder wie Apple 1984 den Macintosh am Markt einführen. Eine kleine Gruppe Gerechter, die für die Befreiung aus der Knechtschaft des alles dominierenden Big Brother IBM kämpft.
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Die Guten gegen die herrschende Macht der Elite. Das ist die Story-Mechanik der Nazis, das ist genauso die Story-Mechanik der Christen von vor 2.000 Jahren.
Story kennt eben kein Gut und kein Böse.
Story funktioniert als Mechanik wie ein Hammer. Wer ihn führt, bestimmt, ob er als Werkzeug oder Waffe wirkt. Bleibt zu hoffen, dass die Glock stets der gute Bruce Willis in der Hand hält …
Gibt es überhaupt richtig oder falsch?
Das Spannende am Leben ist, dass es in den allermeisten Situationen gar keine objektiv richtige oder falsche Entscheidung gibt, anders als in einem plakativen Tschinn-Bumm-Movie, bei dem von Anfang an klar ist, was passiert, wer gewinnt (Spoiler-Alert: Bruce Willis), aber im besten Fall noch nicht klar ist, wie.
So wäre das Leben ja super einfach. Das Leben ist aber nicht einfach, sondern komplex und stellt uns laufend – und häufig bei Entscheidungen in und für Unternehmen – vor die Wahl zwischen zwei positiven Dingen oder zwischen zwei Übeln. Wir stecken also permanent bis über beide Ohren in einem fetten Dilemma.
Es sind dann auch diese Geschichten rund um ein Dilemma in Filmen, Romanen oder Theaterstücken, die uns als Modelle zur Erklärung unser eigenen Welt so hilfreich sind, weil sie das echte Leben abbilden und nichts als die Wahrheit zum Inhalt haben.
Das Leben ist eine einzige Zwickmühle im endlosen, gnadenlosen Dauerbetrieb, und wir müssen eine Entscheidung nach der anderen treffen. Dazu habe ich mir einen Satz von Roy E. Disney gemerkt: „It’s not hard to make decisions once you know what your values are.“
Welcher Wert ist in Gefahr?
Story basiert auf Werten. In jeder guten Story ist ein archaischer Grundwert in Gefahr, den es zu retten gilt. Das gilt für die fiktionale Erzählung ebenso wie für eine wirkungsstarke Marken-Story, für die Geschichte deines Lebens und für Anführer von Staaten, Organisationen, Unternehmen, Abteilungen oder NGOs sowieso. Wer die stärkere Story hat, gewinnt.
Niemand sagte das jemals besser als Antoine de Saint-Exupéry: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Das ist die Geschichte von … Freiheit! Der Gegner, die antagonistische Kraft, heißt also naturgemäß: Unfreiheit. Ein bisschen mehr dazu gibt’s hier.
„Es geht um unsere Werte.“ Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht auf diesen Satz stoße. Grundwerte, Markenwerte, Werte unserer Gesellschaft, Werte, die es somit zu verteidigen gilt, denen wir verpflichtet sind – Werte, Werte, Werte.
Werte empfinden wir als etwas Positives, deshalb halten wir unsere Werte hoch. (Nur die Leber-Werte nicht, wenn’s geht.)
Werte sind wertvoll. Das stimmt. Aber es ist dennoch völlig falsch.
Denn Werte sind vor allem eines: wert-neutral.
Protagonist oder Antagonist – wo ist der Unterschied?
Wechseln wir einmal kurz die Perspektive: „Wenn diese Typen wirklich ein Schiff bauen, dann hauen sie ab von unserer Insel und lassen uns in Einsamkeit zurück, ohne ihre Ideen und ohne ihre Tatkraft. Verdammt! Wir müssen etwas unternehmen …!“ Saint-Exupéry würde hier vermutlich sagen: „Wenn du einen Zaun bauen willst …“
Und wie wir alle wissen, hindern Zäune die einen daran, rein-, und die anderen daran, rauszukommen. – One man’s trash is another man’s treasure.
Das Leben ist komplex. Wie eben Story auch. Darum ist Story so wichtig für uns und die allerbeste Methode, mit der wir unsere Werte kommunizieren. Storytelling, besser noch Story-Sharing hilft uns bei der Erklärung unserer Welt(en), beim Teilen unserer Werte und beim Menschsein.
Wenn wir also über unsere Werte sprechen und unsere Storys entwickeln, dann tun wir verdammt gut daran, das aufrichtig, mit reinem Herzen zu machen.
Und dann verstehen wir zuallererst, dass unsere wertvollen Werte noch lange nicht für andere wertvoll sein müssen – jenseits von Gut und Böse.
Denk zum Beispiel einmal an das Verständnis von „die hohe Qualität unserer Arbeit“. Die einen sehen darin, möglichst leicht zu arbeiten, die anderen, ein möglichst langlebiges Produkt zu erzeugen, die dritten wollen beides, und andere wollen bloß keinen Fehler machen. Prinzipiell gibt’s gegen nichts davon etwas einzuwenden, oder?
Verwechseln wir also Werte nicht mit Tugenden, die wir in aller Regel meinen, wenn wir Werte sagen.
Wie du deine echten Werte findest – jetzt geht’s ans Eingemachte.
Umso wichtiger ist für jede Marke, jedes Unternehmen und jede Organisation absolute Genauigkeit beim Eichen ihres Wertekompasses. Die Frage lautet nicht: „Was sind unsere Werte?“, sondern: „Was sind unsere Werte, und wie werden sie erlebbar – innen und außen?“
Bei uns steht der „Mensch im Mittelpunkt“, wir wollen „zufriedene Kunden, Mitarbeiter und selbstverständlich Partner“, oder wir stehen für „Nachhaltigkeit“ … Gibt’s irgendjemanden, der das nicht will? Eben, und dennoch bedeutet das für jeden etwas anderes. Diese übliche Art von Werteschmonzes kannst du dir – wie man in Wien so hübsch formuliert – auf den Bauch picken, aufmalen, einrexen …
Apropos „einrexen“ – hier geht’s ans Eingemachte. Erst kürzlich zeigte eine internationale Studie, dass 66 Prozent der Käufer ihre Kaufentscheidung davon abhängig machen, wofür ein Unternehmen in gesellschaftlichen Fragen steht bzw. wofür nicht. Deine Story kann dir daher auch Umsatz verschaffen.
Eine andere Untersuchung ergab, dass die Unternehmenskultur und die Verbindung mit dem so genannten Brand Purpose der wichtigste Grund dafür ist, ob jemand ein Jobangebot annimmt oder nicht. Je höher die Qualifikation der Bewerber, umso ausgeprägter ist dies. Das fällt mir gerade ein, weil ich in letzter Zeit auffallend oft darauf angesprochen werde, wie man mit Storytelling im umkämpften Mitarbeitermarkt reüssieren kann. Meine Antwort: siehe oben.
Egal ob Weltkonzern, ob KMU/kleine und mittlere Unternehmen oder heldenhafte Einzelkämpfer als EPU – jeder Mensch, jede Marke, jedes Unternehmen hat und braucht mindestens einen archaischen Wert und die dadurch aktivierte Story, um die sich alles dreht. Wenn du keinen magnetischen Wert als lebendiges Thema hast, bleibt dir nämlich nur noch ein einziges anderes: der Preis. Und Preis ist in diesem Fall nur ein anderes Wort fürTodesurteil mit ungewissem Vollstreckungsdatum. Yippie kay yay, motherfucker!
Allen, die also sagen: „Für mich und meine Marke gilt das nicht!“ seien jene Worte ans Herz gelegt, die meine Großmutter, die alte Story Dudette, Friedrich Nietzsche aufs Deckblatt seines Manuskriptes von „Jenseits von Gut und Böse“ schrieb: „No Story. No Glory.“