Die Bedürfnispyramide, die der US-Amerikaner Abraham Maslow, Gründervater der humanistischen Psychologie, in den 1940er-Jahren errichtete, ist dir sicher ein Begriff, oder? Seit damals dient sie uns als Illustration dafür, wie sich unsere Bedürfnisse schichtweise aufbauen.
Unten am Sockel geht’s los mit allem, was dem nackten Überleben dient, dann kommt die Sicherheit drauf. Sobald wir uns sicher fühlen, klettern wir in die Beziehungsetage. Wenn’s dort halbwegs klappt, nehmen wir die Treppe in Richtung Ansehen, Wertschätzung und Wichtigkeit, und zum Schluss schwingen wir uns zur Spitze hoch. Dort erwarten uns Selbstverwirklichung und Potenzialentfaltung.
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Im Blogcast lese ich Dir diesen aktuellen Blogartikel vor. Mit Betonung, versteht sich!
In den 1970er-Jahren baute Maslow die Pyramide noch einmal kräftig aus: Er zog vor der Selbstverwirklichung zwei zusätzliche Etagen ein und schrieb Kognitives und Ästhetik auf ihre Eingangstüren.
Ganz oben hin, auf die Spitze, setzte er sodann die Transzendenz. Die Bedürfnispyramide verfügt nun über acht Etagen, die uns auf der Grundlage der Psychologie in aller Einfachheit – und deshalb herrlich tauglich – veranschaulichen, was aus dem Volksmund wie „Das Hemd ist mir näher wie der Rock“ klingt.
Wenn Bert Brecht diesen Gedanken in einen Songtext webt, klingt das nach „Wovon lebt der Mensch?“ in „Die Dreigroschenoper“:
Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt,
Das eine wisset ein für allemal,
Wie ihr es immer dreht, und wie ihr’s immer schiebt,
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Brecht hat recht.
Dass die Inhalte der Etagen der jeweiligen Lebenssituation entsprechend individuell befüllt sind, versteht sich. Bei manchen serviert man am Fundament handgemolkene Green Smoothies, während andere dort am Teller haben, was sie aus Müh & Not im Sozialmarkt ergattern.
Maslows Dachgarten
Wie’s dann in der Pyramide weitergeht? Auch das ist individuell. Die einen kämpfen sich möglicherweise hungrig bis nach ganz oben durch, während diejenigen, die den Aufzug benutzen könnten, unter Umständen gar kein Interesse daran haben, über sich hinauszuwachsen, in ihrer Entwicklung irgendwo stecken bleiben und via Treppenhaus überholt werden. Schade für sie.
Mir fällt in letzter Zeit auf, dass die Maslowsche Pyramide offenbar zwei weitere Etagen bekam:
Erstens wurde ihr ein Keller eingezogen, und dort wurde dann eingelagert, was für viele noch wichtiger als das nackte Überleben zu sein scheint: WLAN und Klopapier.
Und dann bekam die Pyramide einen nagelneuen Dachgarten. An sich ist er überhaupt nicht neu, aber immer mehr Menschen entdecken ihn eben erst. Über der Selbstverwirklichung und der Transzendenz gibt es die Möglichkeit, andere am Weg nach oben zu unterstützen. Kein Wunder, dass dort, in bester Luft, eine herrliche Aussicht und besonders schöne Pflanzen zu bewundern sind.
Warst du schon einmal oben? Ein Besuch sei aus ganzem Herzen anempfohlen, man fühlt sich dort wirklich hervorragend.
Die Leute, die sich in Maslows Dachgarten herumtreiben, nennt man Mentoren. Sie fielen nicht vom Himmel in den Dachgarten, sie sind auch keine Heiligen, oft sind sie sogar das Gegenteil. Sie sind ihren Weg Schritt für Schritt und Fehltritt für Fehltritt nach oben gestapft. Sie können mit ihrer Story andere in deren Geschichte unterstützend begleiten, ihnen im Rückblick manche Abkürzung verraten und die Räuberleiter halten.
Diese Lichtzeig-Gestalten können fünf Sachen besonders gut:
1) Fehler des Mentees rechtfertigen (aber nicht gutheißen)
2) seinen Verdacht bestätigen (aber nicht dort picken bleiben)
3) Ängste nehmen (aber nicht zum Leichtsinn treiben)
4) Träumen Aufwind geben (aber keine Illusionen nähren)
5) helfen, Gegner und Gegenkräfte zu besiegen (aber nicht den Kampf abzunehmen).
Mentoren sind in etwas Meister, aber niemals Be-Lehrer. Ihre Belohnung? Unter anderem ein Stammplatz in Maslows Dachgarten und der Schlüssel zur Geheimtüre in die Etage Transzendenz … Also eine kleine Abkürzung in Sachen Verwandlung. Und das ist auch die besonders gute Nachricht: Den Weg in den Dachgarten kann man von jeder Pyramidenstufe aus auf der Direttissima nehmen.
Marie von Ebner-Eschenbach, eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen ihrer Zeit, kannte diesen Dachgarten vermutlich und wusste: „Wenn jeder dem anderen helfen wollte, wäre allen geholfen.“
Ich ergänze frech: Wenn wir etwas füreinander tun, dann tun wir das gleichzeitig auch für uns selbst.
Mit diesem Schwung könnte jeder Mensch, jedes Unternehmen, jeder von uns, auf einen Sprung in Maslows Dachgarten vorbeischauen. Dort wäre aus einem zauberhaften Grund Platz für alle, das WLAN funktioniert bestens. Und dort oben gibt es den freien Blick auf ein Morgen, das das Zeug zu einer neuen, zu einer besseren Geschichte für uns alle hat, die von uns allen handelt und unsere Stärken multipliziert, anstatt uns, wie die alte Story, auseinanderdividiert.
Ich glaube, das meinte meine Großmutter, die alte Story Dudette, wenn sie beim Garteln mit ihren Blümlein sprach und ihnen zuflüsterte: „No Story. No Glory.“